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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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ich wolle sie überraschen, aber einmal, und es war lange vor jenem Weihnachtsabend, da bin ich fortgegangen, am Abend, und die beiden haben mich bis auf den Flur begleitet; ich war schon fast an der Haustür, da fiel mir ein, dass ich meine Handschuhe vergessen hatte, und ich stieg wieder in die Höhe, ich hatte Gummisohlen an meinen Halbschuhen, und die beiden standen noch auf dem Gang. Da hab' ich es gehört! »Du!« sagte Pit gerade, und es klang sehr zärtlich. Ich bin leise wieder die Treppen hinunter und habe auf die Handschuhe verzichtet ... Ja, es war merkwürdig, solche Szenen liest man oft in Romanen, da schiesst der Ehemann oder er verprügelt den Nebenbuhler ... Das Papier ist geduldig, in der Wirklichkeit sieht es eben anders aus. Warum Pathos? Und dann hatte ich Pit eigentlich ganz gern, so, wie man einen Menschen gern hat, der das gerade Gegenteil von einem selber ist. Dann kommen einem die Berührungspunkte, die man mit ihm hat, doppelt kostbar vor ... Was rede ich da für einen Stuss zusammen: Berührungspunkte, die kostbar sind. Aber es ist nun doch einmal so. Siehst du, Pit – du Pit, der da vor mir sitzt –, dem andern, deinem Doppelgänger, habe ich ja die Sache nie erklären können, er hielt so verteufelt auf Distanz; nur ein Beispiel: Ich sang ihm einmal einen Vers vor aus dem schönen Liede »Die Wirtin an der Lahn«, du kennst es doch auch, im Militärdienst haben wir es gesungen, weisst du: »Frau Wirtin hatte auch einen Star, der war ein Vogel sonderbar ... und sang die Marseilläääse!« Haha, hahahaha, den kanntest du nicht? Haha ... »Und sang die Marseilläääse« ... So lach doch, du bist gerade so steif wie der andere Pit, der hat nämlich auch nicht gelacht. Ganz kalt hat er mir gesagt: »Ich liebe unanständige Witze nur, wenn sie gut sind, für reine Schweinereien habe ich keine Sympathie« ... Da stand ich da ... und dabei küsste er meine Frau und sagte Du zu ihr ... »Habe ich keine Sympathie!« ... War doch ganze zwölf Jahre jünger als ich und erlaubte sich, mir ... mir ... Direktiven zu geben über mein Verhalten ... Mir, der damals schon Bürochef war, rechteHand des Bürgermeisters, ständiger Berater in Finanzdingen ... »Und sang die Marseilläse« ... Findest du es nicht auch komisch, Pit? Nun, schadet nichts.
    Dabei, wenn du ihn gesehen hättest, den Pit, deinen sauberen Bruder, wie er zu uns gekommen ist. Sein Anzug war zu eng, zu kurz die Ärmel des Rockes, die Hosen liessen die Knöchel frei, er trug Halbschuhe. Was mich aber wunderte, war, dass er sich deswegen gar nicht zu genieren schien, er bewegte sich mit einer Sicherheit, die wundernahm bei einem eigentlich so jungen Menschen, er war erst sechsundzwanzig Jahre alt, zwölf Jahre jünger als ich ... Er war Maler, behauptete er wenigstens, und ausserdem wurde er von der Polizei gesucht, war ausgeschrieben im Fahndungsanzeiger. Das gab er ohne weiteres zu, schämte sich nicht einmal. Es war wohl eigentlich nichts Wichtiges: Schulden, die man im Begriff war, als Unterschlagung und Betrug auszulegen, ein Herr, der ihm hundert Franken gepumpt hatte auf ein Bild, das schliesslich nicht gemalt wurde, so irgend etwas war es. Nun, ich brachte die Sache in Ordnung. Leistete sogar Bürgschaft. Ich kannte den Statthalter, der die Untersuchung zu leiten hatte, ich schrieb ihm, ich bürgte ... Habe ich mich nicht etwa anständig benommen? Gewiss, Mowgli war daran schuld, dass ich mich so für ihn einsetzte. Sie kam mich mit ihm an einem schönen Abend vom Büro abholen, und dann sprach ich mit dem Menschen. »Mowgli«, sagte ich zu meiner Frau und fasste sie zärtlich um die Schulter, denn dies Recht hatte ich doch, auch auf der Gasse, als Ehemann, nicht wahr? »Mowgli«, sagte ich, »lass mich mit dem jungen Mann allein, wir Männer können solche Sachen besser ohne weibliche Mithilfe erledigen.« Aber sie schüttelte meinen Arm ab, das fiel ihr nicht schwer, Sie ... du wollte ich sagen, du hast ja gesehen, dass sie viel grösser ist als ich. Hast du ihr Gesicht gesehen, Bruder Pit? Oder warst du anderweitig beschäftigt? Du hast es gesehen ... So ... Und was sagst du zu diesem Gesicht? Ja, das sagte er auch, dein Doppelgänger, ein anziehendes Gesicht, sagte er, erinnert an eine Vollblutstute,das macht der Mund, weisst du, der grosse Mund, der manchmal so zitternd und nervös lächeln kann ... Bist du etwa auch Maler? Was treibst du eigentlich? Ich habe dich da apostrophiert und hab' dich für einen Ladenschwengel

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