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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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überzeugen. Jedermann kennt seinen Nachbarn, und doch könnte man in den wenigsten Fällen den  Grund anführen, warum man in dem Mann seinen Nachbarn erkennt. Der Herausgeber der Etoile tat Unrecht, sich über Herrn Beauvais’ nicht durch Worte zu begründenden Glauben zu ärgern.
    Die Verdachtsmomente, die ihn belasten, beweisen viel mehr meine Hypothese von seiner Allgeschäftigkeit als seine Schuld. Geben wir seinem Betragen einmal diese gutherzige Auslegung, so können wir uns mit Leichtigkeit die Rose in dem Schlüsselloch, das Wort ›Marie‹ auf der Schiefertafel, die Beseitigung des männlichen Verwandten, seine Abneigung, die Verwandten den Leichnam sehen zu lassen, die Aufforderung an Frau B., sie solle mit dem Gendarmen nicht sprechen, bis er, Beauvais, wieder zurückkomme, und zum Schluß auch seinen Ausspruch erklären, daß niemand außer ihm in dem Prozeß mitzusprechen habe.
    Es scheint mir außer Zweifel, daß Beauvais einer von Mariens Verehrern war, daß sie mit ihm kokettierte und daß es ihm schmeichelte, wenn andere dachten, er stehe mit ihr auf vertrautem Fuße. Ich will über diesen Punkt nicht weiter sprechen, und da die Zeugenaussagen die Behauptungen der Etoile hinsichtlich der Apathie, welche die Mutter des Mädchens und andere Verwandte an den Tag gelegt haben sollen, die beweisen sollten, daß sie den gefundenen Leichnam nicht für den der Marie gehalten hätten – da diese Zeugenaussagen die Behauptung der Etoile Lügen strafen, wollen wir fortfahren, als wäre die Frage der Identität in durchaus befriedigender Weise gelöst.«
    »Und was sagen Sie«, fragte ich hier, »zu den Ansichten des  Commercial ?«
    »Daß diese ihrem geistigen Gehalt nach weit beachtungswerter sind als alle, die bis jetzt über diesen Gegenstand verbreitet wurden.
    Die Folgerungen aus den Prämissen sind durchaus richtig und scharfsinnig, aber die Prämissen selbst beruhen in wenigstens zwei Fällen auf unvollkommener Beobachtung. Der Commercial sucht die Ansicht zu verbreiten, daß Marie nicht weit von dem Hause ihrer Mutter von einer Rotte von Bösewichtern angefallen wurde. Er behauptet, ›es ist unmöglich, daß eine so wohlbekannte Person wie Marie drei Stadtviertel hat durchschreiten können, ohne von irgend jemandem erkannt zu werden‹. Diese Worte verraten den Gedankengang eines Mannes, der lange in Paris gelebt hat, in einem öffentlichen Amte steht, dessen hauptsächliche Gänge sich zwischen den öffentlichen Gebäuden befinden und welcher weiß, daß er aus seinem Bureau nicht hundert Schritte weit gehen kann, ohne wenigstens von einem Dutzend von Leuten erkannt und angeredet zu werden. Er vergleicht Mariens Bekanntenkreis mit dem seinen, findet, daß derselbe nicht viel kleiner ist als sein eigener, und schließt daraus, daß sie auf ihren Gängen ebensoleicht erkannt werden müsse wie er auf den seinigen.
    Dies würde jedoch nur der Fall sein, wenn sich ihre Ausgänge wie die seinen auf ein paar bestimmte Strecken in einem bestimmten Stadtviertel beschränkten. Er bewegt sich zu bestimmten Stunden innerhalb eines fest umgrenzten Kreises, in welchem seine Geschäfte und Ausgänge die Aufmerksamkeit zahlreichen anderer Personen auf sich ziehen müssen, weil sie mit den ihrigen in Beziehung stehen.
    Wir können jedoch annehmen, daß Mariens Gänge im allgemeinen weit verschiedenartiger waren, und im vorliegenden Fall ist es sogar höchst wahrscheinlich, daß sie einen Weg einschlug, der von der Richtung ihrer gewöhnlichen Ausgänge ganz besonders abwich. Die Parallele, welche der Herausgeber des Commercial zwischen seinem und Mariens Bekanntsein gezogen hat, könnte auf Richtigkeit nur Anspruch erheben, wenn die beiden die ganze Stadt durchwanderten.
    Nur in diesem Falle wären bei gleich großem Bekanntenkreise auch die Chancen gleich, von einer gleich großen Anzahl von Personen erkannt zu werden.
    Ich selbst halte es nicht allein für möglich, sondern sogar für sehr wahrscheinlich, daß Marie zu jeder Zeit einen der vielen Wege von der Wohnung ihrer Mutter zu der ihrer Tante hätte gehen können, ohne auch nur einer einzigen Person zu begegnen, von der sie gekannt wurde. Um überhaupt in diesem Fall richtig zu entscheiden, dürfen wir nie das große Mißverhältnis vergessen, welches zwischen der Zahl der Bekannten auch des meistgekannten Parisers und der ganzen Einwohnerzahl dieser Stadt überhaupt herrscht.
    Der letzte Rest von Bedeutung, welche die diesbezügliche Ansicht des

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