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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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lächerliche Gedankenverwirrung klar! Niemand – nicht einmal die Etoile selbst – bestreitet, daß an dem gefundenen Körper ein Mord verübt wurde, denn er trug nur zu deutlich die Spuren einer Gewalttat an sich. Der Verfasser will bloß beweisen, daß der Körper nicht der von Marie sei, er will seine Leser davon überzeugen, daß Marie nicht ermordet wurde, nicht etwa, daß an dem gefundenen Körper kein Mord verübt wurde. Und doch beweist seine Bemerkung nur das letztere. Es wird ein Leichnam gefunden, der durch kein Gewicht zum Sinken gebracht wurde. Hätten ihn Mörder in den Fluß geworfen, so wäre diese Vorsichtsmaßregel angewandt worden. Er wurde also nicht von Mördern dem Wasser übergeben. Das ist alles, was bewiesen wird, wenn hier überhaupt von beweisen die Rede sein kann. Die Frage der Identität läßt das Blatt vollkommen unberührt und gibt sich nur noch Mühe, dem zu widersprechen, was es einen Augenblick vorher zugegeben hat. ›Wir sind vollkommen überzeugt‹, heißt es weiter, ›daß der gefundene Leichnam der einer ermordeten Frauensperson ist.‹
    Und es ist nicht das einzige Mal, daß sich der Verfasser in diesem einen Artikel widerspricht. Wie ich schon erwähnte, macht er sich zur Aufgabe, die Zeit zwischen dem Verschwinden Mariens und der Auffindung des Leichnams als möglichst kurz dahinzustellen. Und doch betont er an anderer Stelle immer wieder, daß das Mädchen von dem Augenblicke an, da es das mütterliche Haus verließ, von niemandem gesehen worden ist. ›Wir haben keinen Beweis‹, sagt er, ›daß Marie Rogêt sich nach  Uhr an dem betreffenden Sonntage noch unter den Lebenden befand.‹ Da seine ganze Beweisführung von einer absichtlich einseitigen Anschauung der Sache diktiert ist, hätte er wenigstens diesen Punkt ganz unberücksichtigt lassen sollen; denn wäre Marie noch am Montag oder sogar am Dienstag gesehen worden, so wäre die fragliche Zwischenzeit ja noch bedeutend kürzer gewesen und hätte gemäß des Verfassers eigenen Schlüssen die Wahrscheinlichkeit, daß der Leichnam mit der Vermißten identisch sei, bedeutend vermindert. Eigentlich ist es schon erheiternd, zu sehen, wie die Etoile auf diesem Punkte beharrt, in dem guten Glauben, derselbe unterstütze ihre allgemeine Behauptung.
    Lesen Sie nun, bitte, jenen Teil des Artikels noch einmal durch, der sich auf die Erkennung des Leichnams durch Beauvais bezieht. Mit dem, was sie über die Haare auf dem Arm sagt, läßt sich die Etoile  eine offenbare Unehrlichkeit zuschulden kommen. Herr Beauvais ist nicht blödsinnig und wird nicht behauptet haben, den Leichnam bloß an den Haaren auf dem Arm erkannt zu haben. Kein Arm ist vollständig ohne Haar. Die Etoile hat durch diese allgemeine, ungenaue Ausdrucksweise die Aussage des Zeugen verdreht, denn er muß von irgendeiner Besonderheit der Haare, von einer Eigentümlichkeit, ihrer Farbe, ihrer Menge, ihrer Länge oder ihrer Lage gesprochen haben. ›Ihr Fuß‹, sagt das Blatt, ›war klein – doch haben viele tausend Mädchen kleine Füße. Ihr Strumpfband beweist ebensowenig wie ihr Schuh, denn Schuhe und Strumpfbänder werden packweise verkauft.
    Das gleiche gilt von den Blumen auf ihrem Hut. Herr Beauvais betont noch den Umstand, daß die Schnalle am Strumpfband, das anscheinend zu weit gewesen, zurückversetzt worden ist. Aber auch dies will nichts besagen; denn fast alle Frauen probieren ihre neugekauften Strumpfbänder erst zu Hause an und nähen sie passend.‹
    Jetzt wird es wirklich schwer, den Verfasser noch ernst zu nehmen.
    Hätte Herr Beauvais bei seinen Nachforschungen nach Mariens Leichnam einen Körper aufgefunden, der an Größe und Aussehen dem der Vermißten gleich war, so wäre er berechtigt gewesen, an einen Erfolg seiner Bemühungen zu glauben, ohne die Bekleidung des Leichnams zu berücksichtigen. Hätte er dazu noch an dem Arm Haare von einer besonderen Eigentümlichkeit wiedererkannt, so hätte ihn dieser Umstand in seiner Meinung noch bestärken können und zwar desto mehr, je eigentümlicher und ungewöhnlicher diese Haare gewesen wären. Waren Mariens Füße klein wie die des Leichnams, so vergrößert auch dies Zusammentreffen die Wahrscheinlichkeit.
    Fügt man noch hinzu, daß Marie an dem Tage, da sie verschwand, ebensolche Schuhe trug, wie man sie an dem Leichnam gefunden, so erhöht diese Tatsache, trotz des Umstandes, daß Schuhe packweise  verkauft werden, die Wahrscheinlichkeit fast bis zur Gewißheit. Was an sich

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