Erzählungen
in der vibrierenden Bewegung der Zunge zu entdecken, so oft ich eine Frage an Herrn Valdemar richtete. Er schien Anstrengungen zu machen, mir zu antworten, besaß aber nicht mehr die genügende Willenskraft. Gegen Fragen anderer Personen schien er vollkommen unempfindlich, obschon ich mich bemühte, jeden der Anwesenden in magnetischen Rapport mit ihm zu setzen.
Ich glaube, daß ich nun alles berichtet habe, was zum Verständnis des somnambulen Zustandes in diesem Stadium erforderlich ist. Wir ließen zwei andere Wärter kommen, und ich verließ mit den beiden Ärzten und Herrn L. das Haus gegen zehn Uhr.
Am Nachmittag fanden wir uns wieder alle bei dem Magnetisierten ein. Sein Zustand war vollständig unverändert. Wir hatten zunächst eine lebhafte Debatte über die Zweckmäßigkeit und Möglichkeit einer Erweckung, kamen aber bald überein, daß dieselbe von keinem Nutzen sein könne, weil der Tod – oder das, was man gewöhnlich als Tod bezeichnet – durch das magnetische Verfahren nur aufgehalten worden war. Auch teilten wir die Überzeugung, daß wir, wenn wir Herrn Valdemar aufweckten, nur seine augenblickliche oder wenigstens seine raschere Auflösung bewirken würden.
Von dieser Zeit an bis gegen Ende der verflossenen Woche – also fast sieben Monate hindurch – setzten wir unsere Besuche in Herrn Valdemars Haus täglich fort, dann und wann in Begleitung von Ärzten oder Freunden. Während der ganzen Zeit verblieb der Schlafwache genau in dem Zustand, den ich oben beschrieben habe. Er war dabei beständig von Wärtern bewacht.
Am vergangenen Freitag entschlossen wir uns endlich dazu, das Experiment der Erweckung Valdemars vorzunehmen oder wenigstens zu versuchen; und vielleicht ist der unglückliche Ausgang dieses Experimentes die Ursache jener Erörterungen in Privatkreisen, die ich nur als Folge einer ungerechtfertigten allgemeinen Leichtgläubigkeit ansehen kann.
Um Herrn Valdemar dem magnetischen Schlaf zu entreißen, machte ich die dazu erforderlichen Striche. Eine Zeitlang blieben sie völlig erfolglos. Das erste Symptom des Erwachens war ein teilweises Senken des Augapfels. Ganz besonders merkwürdig bei dieser Senkung war der Umstand, daß eine gelbliche, eiterige Flüssigkeit von höchst scharfem, widrigem Geruch unter den Lidern hervorquoll.
Man bestimmte mich, noch einmal den Versuch zu machen, den Arm des Schlafenden wie früher zu beeinflussen. Ich versuchte es, doch ohne Erfolg. Doktor F. äußerte den Wunsch, ich möchte nochmals eine Frage stellen. Ich tat es mit folgenden Worten.
»Herr Valdemar, können Sie uns mitteilen, was Sie empfinden oder welche Wünsche Sie jetzt haben?«
Kaum hatte ich gesprochen, da traten die hektischen Flecken auf den Wangen wieder hervor, die Zunge begann zu vibrieren oder rollte vielmehr im Munde hin und her, obwohl die Kinnlade und der Mund so steif blieben wie vorher; und endlich brach wieder jene gräßliche Stimme hervor, die ich schon beschrieben habe:
»Um Gottes wil en! – Schnel , schnel ! – Versetzen Sie mich wieder in Schlaf! Oder – schnel ! – erwecken Sie mich – schnel ! – Ich sage Ihnen, daß ich tot bin. «
Ich war einen Augenblick wie starr und wußte nicht, was ich tun solle. Zunächst bemühte ich mich, den Halbtoten zu beruhigen, aber als meine Willenskraft versagte, suchte ich ihn mit allen Kräften aufzuwecken. Ich bemerkte bald, daß mir dies gelingen werde, oder glaubte wenigstens, einen Erfolg zu erzielen, und bin überzeugt, daß auch jeder der Anwesenden der Meinung war, er würde den Patienten bald aufwachen sehen. Es ist ganz unmöglich, daß ein menschliches Wesen auf das, was wirklich folgte, hätte vorbereitet sein können.
Als ich während der Ausrufe »schnell!« – »tot!«, die von der Zunge, nicht von den Lippen des Leidenden zu kommen schienen, die erforderlichen magnetischen Striche führte, brach plötzlich, in weniger als einer einzigen Minute, sein ganzer Körper zusammen – zerbröckelte, verweste vollständig unter meinen Händen. Und auf dem Bett, vor den Augen der Anwesenden, lag eine fast flüssige, in ekelhafte Fäulnis übergegangene Masse.
DIE SPHINX
The Sphinx ()
Zur Zeit, als die fürchterliche Cholera in Neuyork herrschte, war ich der Einladung eines Verwandten gefolgt, vierzehn Tage in seinem Landhaus am Ufer des Hudson zu verbringen. Wir hatten hier alles, was man zur sommerlichen Unterhaltung braucht, und wir hätten die Zeit mit Waldspaziergängen und Malen, mit
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