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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Baracke wurde mit Menschen, den Körpern der Bauleute getrocknet.
    Hier auch begann einer meiner Leidenswege.
    Jeden Tag, vor den Augen der gesamten Brigade, schlug mich Sergej Polupan: mit den Füßen, den Fäusten, einem Holzscheit, mit dem Stiel der Hacke, der Schaufel. Er schlug die Studiertheit aus mir heraus.
    Die Schläge wiederholten sich täglich. Brigadier Polupan trug eine Kalbsjacke, eine rosa Jacke aus Kalbsfell – ein Geschenk oder eine Bestechung, um sich von den Fäusten loszukaufen, sich Erholung wenigstens für einen Tag zu erflehen.
    Solche Situationen kenne ich viele. Ich selbst hatte keine Jacke, und auch wenn ich sie gehabt hätte, hätte ich sie Polupan nicht gegeben – es sei denn, die Ganoven hätten sie mir aus der Hand gerissen, von den Schultern gezogen.
    Wenn er aufgebracht war, zog Polupan die Jacke aus, blieb nur in der Weste und setzte Brecheisen und Hacke noch gewandter ein.
    Polupan schlug mir mehrere Zähne aus und brach mir eine Rippe an.
    All das geschah vor den Augen der gesamten Brigade. In der Brigade Polupan waren etwa zwanzig Mann. Es war eine Brigade mit gleitend wechselndem Bestand, eine Schulbrigade.
    Das Prügeln am Morgen hielt so lange an, wie ich in diesem Bergwerk war, in »Spokojnyj« …
    Aufgrund des Rapports von Brigadier Polupan, der bestätigt wurde vom Bergwerkschef und der Leitung des Lagerpunkts, schickte man mich in die zentrale Nördliche Verwaltung, in die Siedlung Jagodnyj – als böswilligen Drückeberger, zur Einleitung eines Strafverfahrens und einer neuen Haftstrafe.
    Ich saß im Isolator in Jagodnyj in Untersuchungshaft, ein Verfahren wurde eingeleitet, die Verhöre liefen. Ljoscha Tschekanows Initiative zeichnete sich ziemlich deutlich ab.
    Es war Frühjahr vierundvierzig, ein greller Kriegsfrühling an der Kolyma.
    Im Isolator treibt man die Untersuchungshäftlinge zur Arbeit, um wenigstens eine Arbeitsstunde aus dem Transittag herauszuschlagen, und die Untersuchungshäftlinge mögen diese alte Tradition der Lager und Durchgangslager nicht.
    Doch ich ging natürlich nicht zur Arbeit, um zu versuchen, irgendeine Norm herauszuschlagen in der kleinen Steingrube, sondern einfach um Luft zu atmen und, wenn man sie mir gibt, eine weitere Schüssel Suppe zu erbitten.
    In einer Stadt, selbst einer Lagerstadt wie der Siedlung Jagodnyj, war es besser als im Isolator, in dem jeder Balken nach Todesschweiß roch.
    Für das Ausrücken zur Arbeit gab es Suppe und Brot, oder Suppe und Grütze, oder Suppe und Hering. Die Hymne auf den Kolyma-Hering, auf das einzige Eiweiß für den Häftling, werde ich noch schreiben – denn nicht das Fleisch wahrt ja an der Kolyma die Eiweißbilanz. Der Hering ist es, der die letzten Scheite in die Energiefeuerung des
dochodjaga
nachlegt. Und wenn ein
dochodjaga
am Leben blieb, dann eben darum, weil er Hering aß, Salzhering natürlich, und trank – das Wasser zählt nicht in dieser Todesbilanz.
    Das Allerwichtigste – in Freiheit konnte man Tabak auftreiben, einen Zug tun oder schnupfen, wenn ein Kamerad raucht, falls schon selbst nicht rauchen. An die Schädlichkeit des Nikotins, an das Krebserregende des Tabaks wird kein einziger Häftling glauben. Übrigens, man kann das Ganze mit der äußersten Verdünnung jenes Tropfens Nikotin erklären, der ein Pferd umbringt.
    »Ziehen«, einen einzigen Zug tun, ist wahrscheinlich trotz allem wenig Gift und viel Schwärmerei und Befriedigung.
    Der Tabak ist die größte Freude des Häftlings, die Fortdauer seines Lebens. Ich wiederhole, dass ich nicht weiß, ob das Leben ein Segen ist oder nicht.
    Im Vertrauen nur auf meine animalische Witterung bewegte ich mich durch die Straßen von Jagodnyj. Ich arbeitete, stemmte mit dem Brecheisen Löcher aus, kratzte mit der Schaufel, um wenigstens irgendetwas abzukratzen für die Pfosten der Siedlung, die ich sehr gut kannte. Hier hatte man mich vor nur einem Jahr vor Gericht gestellt – mir zehn Jahre gegeben, den »Volksfeind« eingebuchtet. Dieses zehnjährige Urteil, die neue Haftstrafe, die vor so Kurzem begonnen wurde, stoppte natürlich auch die Einleitung eines neuen Verweigerer-Verfahrens. Für Verweigerungen, für Drückebergerei kann man Haftzeit zugeben, aber wenn die neue Haftstrafe gerade angetreten wurde, ist es schwer.
    Man führte uns zur Arbeit unter großem Konvoj – schließlich waren wir Menschen in der Untersuchung, wenn überhaupt noch Menschen …
    Ich nahm meinen Platz in der Steingrube ein und bemühte mich, die

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