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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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für eine Arbeit wollt ihr? Feine? Oder grobe? Wir haben keine feine Arbeit. Es gibt nur grobe Arbeit.«
    Damals war ich Wassersieder. Aber wir hatten längst das Badehaus gebaut, kochten das Wasser im Badehaus auf – man musste mich woanders hinschicken.
    Ein langer Mann in einem neuen billigen freien blauen Anzug stand am Baumstumpf vor dem Zelt.
    Bystrow ist Vorarbeiter auf dem Bau, ein Freier, ehemaliger
seka
, der an den Schwarzen See gekommen war, um Geld fürs Festland zu verdienen. »Ihr fahrt in Zylindern aufs Große Land«, wie der Chef Paramonow witzelte. Bystrow hasste mich. In den Studierten sah Bystrow das Hauptübel des Lebens. Er sah in mir die Verkörperung all seiner Nöte. Er hasste und rächte blind und erbittert.
    Bystrow war durch das Goldbergwerk des Jahres 1938 als Vorarbeiter, als Inspektor gegangen. Er hatte davon geträumt, soviel zusammenzusparen, wie er früher zusammengespart hatte. Doch sein Traum war zerstört durch dieselbe Welle, die ausnahmslos alle wegfegte – die Welle des Jahres siebenunddreißig.
    Jetzt lebte er ohne eine Kopeke Geld an dieser verfluchten Kolyma, an der die Volksfeinde nicht arbeiten wollen.
    Mich, der ich durch dieselbe Hölle gegangen bin, bloß von unten, durch die Grube, mit Schubkarre und Hacke – und Bystrow wusste davon und sah es, unsere Geschichte wird ganz offen auf unseren Gesichtern, unseren Körpern geschrieben –, er würde mich gerne schlagen, aber er hatte keine Macht.
    Die Frage nach der feinen oder groben Arbeit, der einzige Witz, wurde mir von Bystrow zwei Mal gestellt, denn ich hatte ja schon im Frühjahr darauf geantwortet. Aber Bystrow hatte es vergessen. Vielleicht auch nicht vergessen, sondern absichtlich wiederholt und die Möglichkeit genossen, diese Frage zu stellen. Wem und wo hatte er sie früher gestellt?
    Vielleicht hatte ich mir das auch alles ausgedacht und Bystrow war es vollkommen gleich – was er mich fragt und welche Antwort er bekommt.
    Und vielleicht ist dieser ganze Bystrow nur mein entzündetes Hirn, das nichts verzeihen will.
    Kurz, ich bekam eine neue Arbeit – als Helfer des Topographen, vielmehr als Lattenträger.
    Im Schwarzsee-Kohlerevier war ein freier Topograph angekommen. Der Komsomolze, Journalist der Ischimer Zeitung, Iwan Nikolajewitsch Bossych, mein Jahrgang, war verurteilt nach achtundfünfzig, Punkt 10 – zu drei Jahren, nicht zu fünf wie ich. Wesentlich früher als ich verurteilt, schon sechsunddreißig, und schon damals an die Kolyma gekommen. Das Jahr achtunddreißig hatte er, so wie ich, in den Gruben und im Krankenhaus verbracht, war »auf Grund gelaufen«, aber zu seiner eigenen Verwunderung am Leben geblieben und hatte sogar die Papiere zur Ausreise erhalten. Jetzt ist er hier zu einer kurzzeitigen Arbeit – den topographischen »Anschluss« des Schwarzsee-Reviers für Magadan zu machen.
    Und ich werde sein Arbeiter sein, werde die Messlatte schleppen und den Theodoliten. Wenn nötig, werden es zwei Lattenträger sein, dann nehmen wir einen Arbeiter dazu. Aber alles, was möglich ist, werden wir zu zweit machen.
    Ich konnte wegen meiner Schwäche den Theodoliten nicht auf den Schultern tragen, aber Iwan Nikolajewitsch Bossych schleppte den Theodoliten selbst. Ich schleppte nur die Messlatte, aber auch die Messlatte war schwer für mich, bis ich mich daran gewöhnt hatte.
    Zu dieser Zeit war der akute Hunger, der Hunger des Goldbergwerks schon vergangen – aber die Gier war die alte geblieben, ich aß wie früher alles, was ich sehen und mit der Hand erreichen konnte.
    Als wir das erste Mal zur Arbeit hinausgingen und uns zum Ausruhen in der Tajga hinsetzten, wickelte Iwan Nikolajewitsch ein Bündel mit Essen aus – für mich. Ich brauchte das nicht, auch wenn ich mir keinen Zwang antat, ich knabberte am Gebäck, an Butter und Brot. Iwan Nikolajewitsch wunderte sich über meine Bescheidenheit, aber ich erklärte sie ihm.
    Als echter Sibirjake, Träger eines klassischen russischen Vornamens, versuchte Iwan Nikolajewitsch Bossych, von mir eine Antwort auf unlösbare Fragen zu bekommen.
    Es war klar, dass der Topograph kein Zuträger war. Das Jahr achtunddreißig brauchte keinerlei Zuträger – alles geschah gegen den Willen der Zuträger, kraft höherer Gesetze der menschlichen Gesellschaft.
    »Bist du zu Ärzten gegangen, als du krank wurdest?«
    »Nein, ich hatte Angst vor dem Feldscher im Bergwerk ›Partisan‹«, Ljogkoduch.
Dochodjagi
rettete er nicht.«
    »Mein Schicksal lag in

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