Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
nicht schlafen lässt.
Auch die Akklimatisierung an den Hohen Norden ist eine sehr komplexe Sache.
Darum auch können die Kinder Medwedews nicht verstehen, warum ihr Vater so schnell gestorben ist, ein kräftiger Mann um die vierzig Jahre – wenn er den ersten Brief aus Magadan vom Dampfer geschickt hat, und den zweiten aus dem Krankenhaus Sejmtschan, und dieser aus dem Krankenhaus war schon der letzte. Darum auch wurde General Gorbatow, ins Bergwerk »Maldjak« geraten, Vollinvalide in zwei Wochen, und nur sein zufälliger Abtransport zum Fischfang nach Ola, an die Küste, rettete ihm das Leben. Darum auch war Orlow, der Referent Kirows, zum Zeitpunkt seiner Erschießung im »Partisan« im Winter 1938 schon ein
dochodjaga
, der sowieso keinen Platz auf dieser Erde gefunden hätte.
Zwei Wochen – das ist genau die Frist, die einen gesunden Menschen in einen
dochodjaga
verwandelt.
Ich wusste all das, verstand, dass in der Arbeit keine Rettung liegt, und wanderte acht Jahre lang vom Krankenhaus in die Grube und zurück. Schließlich war die Rettung da. Im allergebotensten Moment hatte die Hand der Vorsehung Ljoscha Tschekanow in unsere Baracke geführt.
Ich fiel ruhig in einen festen, fröhlichen Schlaf, mit der unklaren Empfindung eines freudigen Ereignisses, das unmittelbar bevorstand.
Am nächsten Tag beim Ausrücken – so nennt sich kurz die Prozedur des Ausrückens zu den Arbeitsorten, das an der Kolyma für Vorarbeiter wie für Millionen Menschen zu ein und derselben Stunde passiert, zum Klang eines Gleisstücks als Ruf des Muezzins, als Klang der Glocke vom Glockenturm Iwan der Große – der Große und der Schreckliche sind im Russischen synonym –, vergewisserte ich mich meiner wunderbaren Intuition, meiner wunderbaren Hoffnung.
Der neue Vorarbeiter war tatsächlich Ljoscha Tschekanow.
Aber es ist zu wenig, selbst zu erkennen in einer solchen Situation, auch du musst erkannt werden in diesem doppelten gegenseitigen Anstrahlen.
An Ljoscha Tschekanows Gesicht war deutlich zu sehen, dass er mich erkannt hat und natürlich helfen wird. Ljoscha Tschekanow lächelte warm.
Beim Brigadier erkundigte er sich sofort nach meinem Arbeitsverhalten. Ich erhielt eine negative Charakteristik.
»Was denn, du Scheißkerl«, sagte Ljoscha Tschekanow laut und sah mir direkt in die Augen, »glaubst du, wenn wir aus demselben Gefängnis kommen, dann brauchst du nicht zu arbeiten? Ich unterstütze keine Drückeberger. Verdien es dir durch Arbeit. Durch ehrliche Arbeit.«
Von diesem Tag an trieb man mich eifriger als früher. Nach ein paar Tagen verkündete Ljoscha Tschekanow beim Ausrücken:
»Ich will dich nicht schlagen für deine Arbeit, ich schicke dich einfach in den Abschnitt, in die Zone. Dort ist für dich Scheißkerl der richtige Platz. Du gehst in die Brigade Polupan. Er wird dir beibringen, wie man leben soll! Sonst heißt es, naja, ein Bekannter! Aus der Freiheit! Ein Freund! Dabei habt ihr Kanaillen uns zugrunde gerichtet. All die acht Jahre habe ich hier gelitten wegen dieser Dreckskerle – den Studierten!«
Am selben Abend führte mich der Brigadier mit Paket in den Abschnitt. Im zentralen Abschnitt der Verwaltung des Bergwerks »Spokojnyj« brachte man mich in der Baracke unter, in der die Brigade Polupan wohnte.
Den Brigadier selbst lernte ich am nächsten Morgen kennen, beim Ausrücken.
Der Brigadier Sergej Polupan war ein junger Kerl von etwa fünfundzwanzig Jahren, mit offenem Gesicht und hellblondem Schopf nach Ganovenart. Aber Ganove war Sergej Polupan nicht. Er war ein richtiger Bauernjunge. Polupan war im Jahr siebenunddreißig vom eisernen Besen hinweggefegt worden, hatte eine Haftstrafe nach achtundfünfzig erhalten und der Leitung angeboten, seine Schuld zu sühnen – die Feinde auf den christlichen Weg zu führen.
Der Vorschlag wurde angenommen, und aus der Brigade Polupan entstand eine Art Strafkompanie mit gleitendem, wechselndem Listenbestand. Ein Strafisolator im Strafisolator, ein Gefängnis im Gefängnis des Strafbergwerks selbst, das es noch nicht gab. Wir bauten dafür eine Zone und eine Siedlung.
Eine Baracke aus frischen Lärchenbalken, den feuchten Balken eines Baums, der, genauso wie die Menschen im Hohen Norden, um sein Leben kämpft und darum kantig und knorrig ist und sein Stamm gewunden. Diese feuchten Baracken wurden von den Öfen nicht durchwärmt. Kein Brennholz hätte ausgereicht, um diese dreihundertjährigen, im Sumpf gewachsenen Körper zu trocknen. Die
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