Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
gesund geworden, auf die Beine gekommen, blieb ich dort als Sanitäter, und dann wurde ich von der obersten Leitung ins Bergwerk »Spokojnyj« gestürzt, ich wurde krank, hatte »Fieber« – Doktor Jampolskij, der mein mündliches Kolyma-Dossier studiert hatte, beschränkte sich auf die medizinische Seite der Sache, ihm war klar, dass ich nicht betrüge und mich mit den Vor- und Vatersnamen der Krankenhausärzte nicht vertue, und er schlug mir selbst vor, Sanitäter zu sein.
Ich war damals in einem Zustand, dass ich auch nicht Sanitäter sein konnte. Doch die Grenzen der menschlichen Durchhaltekraft sind unerforschlich – nachdem ich eine Kostbarkeit in die Hand bekommen hatte, ein echtes Thermometer, fing ich an, Fieber zu messen und die Fieberblätter auszufüllen.
Wie bescheiden meine Krankenhauserfahrung auch war, ich verstand genau, dass im Krankenhaus nur Sterbende liegen.
Sogar in eine heiße Wanne gesteckt, konnte ein aufgedunsener Gigant, ein von Ödemen aufgetriebener Dystrophiker aus dem Lager nicht warm werden.
Für all diese Kranken wurden Krankengeschichten ausgefüllt, wurden Verordnungen aufgeschrieben, die von niemandem ausgeführt wurden. In der Apotheke der Sanitätsabteilung gab es nichts als Permangansäure. Die verabreichte man auch, mal innerlich in schwacher Lösung, mal als Umschlag auf Skorbut- und Pellagrawunden.
Vielleicht war das im Grunde auch nicht die schlechteste Behandlung, aber auf mich wirkte sie bedrückend.
In einem Krankensaal lagen sechs oder sieben Mann.
Und diese Toten von morgen oder sogar von heute besuchte täglich der Chef der Sanitätsabteilung des Bergwerks, der freie Doktor Jampolskij, in schneeweißem Hemd, im gebügelten Kittel und im grauen freien Anzug, den die Ganoven dem Arzt geschenkt hatten, damit er sie, die Gesunden, ins Zentralkrankenhaus am Linken Ufer schickte und diese Toten bei sich behielt.
Und hier traf ich auch den Machno-Mann Rjabokon.
Der Doktor spazierte im glänzenden gestärkten Kittel an den acht Liegen entlang, an den Matratzen, die gestopft waren mit Krummholzzweigen, mit sandfein, zu grünem Pulver zerriebenen Nadeln, mit Ästen, so gekrümmt wie lebendige oder wenigstens tote menschliche Arme, genauso dünn, genauso schwarz.
Auf diesen Matratzen mit den schäbigen abgebrauchten Decken, die nicht das Geringste an Wärme bewahrten, konnten weder ich noch meine sterbenden Nachbarn, der Lette und der Machno-Mann, uns wärmen.
Doktor Jampolskij erklärte mir, dass der Chef ihm befohlen habe, das gesamte Krankenhaus in Eigenregie aufzubauen, und wir beide – er und ich – würden morgen mit diesem Aufbau anfangen. »Du bleibst erstmal auf der Krankengeschichte.«
Der Vorschlag freute mich nicht. Ich wollte nur den Tod, aber zum Selbstmord konnte ich mich nicht entschließen, ich zögerte, zögerte Tag um Tag.
Als er sah, dass ich ihm gar nicht helfen konnte bei seinen Aufbauplänen – ich konnte die Stämme und selbst Stöcke nicht vorwärtsstoßen, sondern saß einfach (fast hätte ich geschrieben – auf dem Boden, aber an der Kolyma sitzt man nicht auf dem Boden, wegen des Dauerfrosts, dort ist das nicht üblich wegen des möglichen letalen Ausgangs), ich saß auf einem Stämmchen, auf Fällholz und betrachtete meinen Chef und seine Übung des Entrindens eines Holzstamms, eines Langholzes –, da behielt mich Jampolskij nicht im Krankenhaus, sondern nahm sofort einen anderen Sanitäter, und der Arbeitsanweiser des Bergwerks »Spokojnyj« schickte mich als Hilfe zum Köhler.
Beim Köhler arbeitete ich einige Tage, dann wechselte ich zu einer anderen Arbeit, und dann zog die Begegnung mit Ljoscha Tschekanow mein Leben in einen tödlichen Strudel.
In Jagodnoje konnte ich während eines Verweigerungsverfahrens, eines eingestellten Verfahrens, Lesnjak kontaktieren, meinen Schutzengel an der Kolyma. Nicht, dass Lesnjak der einzige Hüter des mir bestimmten Schicksals war, dazu würden die Kräfte Lesnjaks und seiner Frau, Nina Wladimirowna Sawojewas, nicht ausreichen, das begriffen wir alle drei. Trotzdem macht der Versuch klug – einen Knüppel in die Räder dieser Todesmaschine zu werfen.
Aber ich, eine »lockere Hand«, wie die Ganoven sagen, ziehe es vor, zuerst mit meinen Feinden abzurechnen und erst dann meinen Freunden Ehre zu erweisen.
Erst sind die Sünder an der Reihe, dann die Gerechten. Darum lassen Lesnjak und Sawojewa dem Schurken Jampolskij den Vortritt.
So muss es offensichtlich auch sein. Ich rühre keinen
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