Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
denselben Berg mit dem Bergwerk, in dem ich schon gewesen war und zehn Jahre bekommen hatte.
Weder Kriwizkij noch Saslawskij waren noch in Dshelgala, und ich begriff, dass die Leitung mit ihren Mitarbeitern ehrlich abrechnet und sich nicht auf Zigarettenkippen und Wassersuppe beschränkt.
Überraschend stellte sich heraus, dass ich in Dshelgala unter der freien Belegschaft einen sehr starken Feind hatte. Und wen? Den neuen Chef der Sanitätsabteilung des Bergwerks, Doktor Jampolskij, den man gerade erst hierher versetzt hatte. Jampolskij posaunte herum, dass er mich gut kennt, dass ich ein Zuträger bin und er das weiß, dass es zu meinem Schicksal sogar einen persönlichen Brief der freien Ärztin Sawojewa gegeben hat, dass mein Beruf im Lager Faulenzer, Drückeberger und Informant ist und ich die unglücklichen Kriwizkij und Saslawskij fast zugrunde gerichtet hätte.
Einen Brief von Sawojewa! Ohne Zweifel ein Zuträger! Aber er, Jampolskij, hatte Weisung von der obersten Leitung gehabt, mein Los zu lindern, und hatte den Befehl befolgt und das Leben dieses Halunken erhalten. Hier aber, in der Spezialzone, wird er, Jampolskij, mich nicht mehr schonen.
Von einer medizinischen Arbeit konnte keine Rede sein, und ich bereitete mich wieder einmal auf den Tod vor.
Das war im Herbst 1945. Plötzlich wurde Dshelgala geschlossen. Die Spezialzone mit ihrer wohldurchdachten Geographie und Topographie wurde gebraucht, dringend gebraucht.
Das gesamte »Kontingent« wurde in den Westen verlegt, in die Westliche Verwaltung bei Sussuman, und solange man einen Platz für die Spezialzone suchte – brachte man es im Gefängnis von Sussuman unter.
Nach Dshelgala wurden Repatrianten eingewiesen – der erste ausländische Fang, direkt aus Italien. Das waren russische Soldaten, die in der italienischen Armee gedient hatten. Eben jene Repatrianten, die nach dem Krieg dem Aufruf gefolgt waren, in die Heimat zurückzukehren.
An der Grenze wurden ihre Transporte von Begleitposten umstellt, und sie alle durchliefen im Eiltempo Rom-Magadan-Dshelgala.
Alle trugen, obwohl sie weder Wäsche noch goldene Sachen mehr hatten – unterwegs hatten sie alles gegen Brot getauscht –, noch italienische Uniform. Sie gaben sich noch munter. Sie wurden genauso ernährt wie wir, bekamen dasselbe wie wir. Nach dem ersten Mittagessen in der Lagerkantine fragte mich der neugierigste Italiener:
»Warum essen eure Leute in der Kantine alle Grütze und Suppe, aber das Brot, die Brotration, halten sie in der Hand und nehmen sie mit? Warum?«
»In einer Woche wirst du all das selbst verstehen«, sagte ich.
Mit der Etappe der Spezialzone wurde auch ich weggebracht – nach Sussuman, in die kleine Zone. Dort kam ich ins Krankenhaus und kam mit Hilfe des Arztes Andrej Maksimowitsch Pantjuchow auf den Feldscherlehrgang für Häftlinge in Magadan, genauer, an Kilometer 23 der Trasse.
Und dieser Lehrgang, den ich glücklich abschloss, teilte mein Leben an der Kolyma in zwei Hälften: von 1937 bis 1946, zehn Jahre Wanderschaft vom Krankenhaus zur Grube und zurück, mit Zugabe einer Haftzeit von zehn Jahren im Jahr 1943. Und von 1946 bis 1953, als ich als Feldscher arbeitete und 1951 unter Anrechung der Arbeitstage frei kam.
Nach 1946 begriff ich, dass ich tatsächlich am Leben geblieben war und dass ich das Haft-Ende und mehr als das Haft-Ende noch erleben würde, dass es meine Aufgabe – das Allerhauptsächlichste – sein würde, weiterzuleben, wie ich all diese vierzehn Jahre gelebt hatte.
Ich gab mir nur wenige Regeln, doch ich halte sie ein, halte sie noch heute ein.
1970-1971
Oberstleutnant Fragin
Oberstleutnant Fragin, der Chef der Sonderabteilung, war degradierter Milizgeneral. Ein Generalmajor der Moskauer Miliz, der auf seinem ganzen ruhmreichen Weg erfolgreich gegen den Trotzkismus gekämpft hatte, während des Kriegs ein zuverlässiger Mitarbeiter des SMERSch . Marschall Timoschenko, der die Juden hasste, hatte Fragin zum Oberstleutnant degradiert und ihm die Demobilisierung angeboten. Große Brotrationen, Dienstgrade und Perspektiven gab es, trotz Degradierung, nur bei der Arbeit im Lager – nur dort blieben den Kriegshelden die Dienstgrade, Stellen und Rationen erhalten. Nach dem Krieg also war der Milizgeneral Oberstleutnant in den Lagern. Fragin hatte eine große Familie, und im Hohen Norden musste er eine Arbeit suchen, bei der die Belange der Familie eine befriedigende Lösung fänden: Krippe, Kindergarten, Schule, Kino.
So kam
Weitere Kostenlose Bücher