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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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aus und verstand, was damals los war, als Stalins Sense die Köpfe abmähte. Bogdanow verstand, dass ihn nur der reine Zufall vor dem tödlichen Brandmal des Artikels achtundfünfzig bewahrt hatte.
    Bogdanow arbeitete bei uns in der Kohleprospektierung als Buchhalter, bewusst gewählt als Häftlingsbuchhalter, den man anschreien und dem man befehlen kann, jene Lecks in der schlecht geführten Statistik zu stopfen und zu flicken, um die herum sich die Familie des Ersten Revierchefs Paramonow und seine nächste Umgebung ernährte, nachdem sie unter einen Goldregen in Gestalt von Konzentraten, Polarrationen etc. geraten war.
    Die Aufgabe Bogdanows, genau wie die seines Namensvetters, des Revierchefs, des ehemaligen Untersuchungsführers des Jahres siebenunddreißig – über ihn habe ich in der Erzählung »Bogdanow« ausführlich geschrieben –, bestand nicht darin, Missbräuche aufzudecken, sondern umgekehrt alle Löcher zu flicken und in einen halbwegs christlichen Zustand zu bringen.
    Häftlinge gab es im Revier 1939, als die Prospektierung begann, nur fünf (darunter auch ich – ein Invalide nach dem Sturm in den Goldminen des Jahres 1938), und natürlich konnte man aus der Arbeit der Häftlinge nichts herauspressen.
    Die Überlieferung – eine jahrhundertealte Lagertradition schon aus Zeiten des Ovidius Naso, der bekanntlich GULag-Chef im Alten Rom war – zeigt, dass man beliebige Löcher mit der kostenlosen erzwungenen, unbezahlten, von Häftlingen geleisteten Arbeit flicken kann, die mit dem Arbeitswert von Marx auch den größten Wert des Produkts ausmacht. Dieses Mal ließ sich die Sklavenarbeit nicht nutzen, wir waren zu wenige für einigermaßen begründete ökonomische Hoffnungen.
    Nutzen ließ sich die Arbeit der freien Halbsklaven, der entlassenen
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, es waren mehr als vierzig Mann, denen Paramonow versprochen hatte, sie würden nach einem Jahr »im Zylinder« aufs Festland fahren. Als ehemaliger Chef des Bergwerks »Maldjak«, in dem General Gorbatow, ehe er »auf Grund lief« und sich unter die
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einreihte, seine zwei oder drei Wochen an der Kolyma abdiente, hatte Paramonow große Erfahrung darin, Polarbetriebe zu »eröffnen«, er kannte sämtliche Tricks. So stand Paramonow nicht wegen Willkür vor Gericht wie in »Maldjak«, denn hier war ja keinerlei Willkür, es war die Hand des Schicksals, die die Todessense schwang und Freie und vor allem Häftlinge mit dem Kürzel KRTD vernichtete.
    Paramonow rechtfertigte sich, denn das Bergwerk »Maldjak«, wo im Jahr achtunddreißig pro Tag dreißig Mann starben, war keineswegs der schlimmste Ort an der Kolyma.
    Paramonow und sein Stellvertreter für Wirtschaftsangelegenheiten Chochluschkin verstanden sehr gut, dass man schnell handeln muss, solange es im Revier keine Statistik, keine verantwortliche und qualifizierte Buchhaltung gab.
    Das ist Diebstahl – und solche Sachen wie Konzentrate, wie Konserven, wie Tee, wie Wein und Zucker machen jeden Chef zum Millionär, der mit dem Reich des zeitgenössischen Midas von der Kolyma in Berührung kommt –, all das verstand Paramonow genau.
    Er verstand auch, dass er umgeben war von Zuträgern, dass man auf jeden seiner Schritte achten würde. Aber Frechheit, so eine Redensart der Ganoven, ist das zweite Glück, und die Sprache der Ganoven kannte Paramonow.
    Kurz gesagt, nach dem Regiment Paramonows, eines sehr humanen, das quasi das Gleichgewicht wieder herstellte nach der Willkür des Vorjahrs, das heißt des Jahres achtunddreißig, das Paramonow im Bergwerk »Maldjak« verbracht hatte, zeigte sich ein gewaltiger Schwund bei allen, wirklich allen Schätzen des Midas.
    Paramonow fand Möglichkeiten sich loszukaufen, seine Untersuchungsführer mit Geschenken zu überhäufen. Er wurde nicht verhaftet, sondern nur seines Postens enthoben. Um für Ordnung zu sorgen, kamen die beiden Bogdanows – der Chef und der Buchhalter. Für Ordnung wurde gesorgt, aber für alle Unterschlagungen der Chefs mussten eben jene vier Dutzend Freie zahlen, die nichts bekamen (so wie wir) – sie bekamen nur ein Zehntel des ihnen Zustehenden. Mit falschen Protokollen gelang es den beiden Bogdanows, das vor den Augen Magadans klaffende Loch zu flicken.
    Diese Aufgabe also stand vor Iwan Bogdanow. Seine Ausbildung – Mittelschule und Buchhalterlehrgang in Freiheit.
    Bogdanow kam aus demselben Dorf wie Twardowskij und erzählte eine Menge Einzelheiten aus seiner wahren Biographie, aber Twardowskijs Schicksal interessierte

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