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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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uns damals wenig – es gab ernstere Probleme …
    Ich freundete mich mit Iwan Bogdanow an, und obwohl nach den Instruktionen ein
bytowik
sich über einen Häftling wie mich erheben muss, handelte Bogdanow auf unserer winzigen Außenstelle ganz anders.
    Iwan Bogdanow scherzte gern, hörte gern einen »Róman« , erzählte gern selbst – und mit seinem Erzählen trat die klassische Geschichte von den Hosen des Bräutigams in mein Leben. Die Geschichte wurde in der ersten Person erzählt, und es ging darum, dass die Braut vor der Hochzeit für den Bräutigam Iwan Hosen bestellt hatte. Der Bräutigam war eher arm, die Familie der Braut reicher, und ein solcher Schritt war durchaus im Geist der Zeit.
    Auch bei mir, in meiner ersten Ehe, wurden auf Drängen der Braut alle Ersparnisse abgehoben und beim besten Schneider Moskaus schwarze Hosen bester Qualität bestellt. Zwar erlebten meine Hosen nicht jene Verwandlungen wie die Hosen Iwan Bogdanows. Aber psychologische Wahrheit, die Glaubwürdigkeit des Dokuments besaß Bogdanows Episode mit den Hosen.
    Das Sujet von Bogdanows Hosen besteht darin, dass die Braut ihm vor der Hochzeit einen Anzug bestellt hatte. Der Anzug war einen Tag vor der Hochzeit fertig, aber die Hosen waren um etwa zehn Zentimeter zu lang. Man beschloss, sie am folgenden Tag zum Schneider zu tragen. Der Meister wohnte einige Dutzend Kilometer entfernt – der Tag der Hochzeit war festgesetzt, die Gäste geladen, die Piroggen gebacken. Die Hochzeit drohte wegen der Hosen zu platzen. Bogdanow selbst war bereit, auf der Hochzeit auch die alten zu tragen, aber die Braut wollte davon nichts hören. So trennten sich Bräutigam und Braut in Streit und Vorwürfen.
    In der Nacht geschah Folgendes: Die Ehefrau beschloss, den Fehler des Schneiders persönlich zu korrigieren, und nachdem sie von den Hosen ihres künftigen Mannes zehn Zentimeter abgeschnitten hatte, ging sie freudig zu Bett und fiel in den tiefen Schlaf der treuen Ehefrau.
    Kurz darauf wachte die Schwiegermutter auf, die für das Problem dieselbe Lösung hatte. Die Schwiegermutter stand auf, hantierte mit Zentimetermaß und Kreide, schnitt weitere zehn Zentimeter ab, bügelte sorgsam Falten und Saum und fiel in den tiefen Schlaf der treuen Schwiegermutter.
    Die Katastrophe entdeckte der Bräutigam selbst, dessen Hosen um zwanzig Zentimeter gekürzt und hoffnungslos verdorben waren. Der Bräutigam musste die Hochzeit in den alten feiern, was er eigentlich auch vorgeschlagen hatte.
    Später las ich all das entweder bei Soschtschenko oder bei Awertschenko , oder in irgendeinem Moskauer Decamerone . Doch zum ersten Mal taucht dieses Sujet in meinem Leben eben in den Baracken des Schwarzen Sees in der Kohleprospektierung von Dalugol auf.
    Bei uns wurde der Posten des Nachtwächters frei – eine sehr wichtige Sache, die Möglichkeit einer bequemen Existenz für lange Zeit.
    Der Wächter war ein Freier, ein Vertragsarbeiter, und jetzt ist das ein beneideter Posten.
    »Warum hast du dich nicht um diesen Posten beworben?« fragte mich Iwan bald nach diesen wichtigen Ereignissen.
    »Mir gibt man so einen Posten nicht«, sagte ich, ich dachte an die Jahre siebenunddreißig und achtunddreißig, als ich mich im Bergwerk »Partisan« an den Chef der KWTsch, den Freien Schwarow gewandt und gebeten hatte, mir irgendeine Verdienstmöglichkeit als Schriftsteller zu geben.
    »Nicht mal Etiketten für Konservengläser wirst du bei uns schreiben!«, tat der KWTsch-Chef freudig kund und erinnerte mich lebhaft an das Gespräch mit dem Genossen Jeshkin im RONO in Wologda 1924.
    Zwei Monate nach diesem Gespräch wurde der KWTsch-Chef Scharow in der Bersin-Affäre verhaftet und erschossen, aber ich komme mir nicht vor wie der Geist aus »Tausendundeiner Nacht«, obwohl alles, was ich gesehen habe, die Phantasie der Perser wie auch die anderer Nationen übertrifft.
    »Mir wird man so eine Arbeit nicht geben.«
    »Warum denn nicht?«
    »Ich habe KRTD.«
    »Dutzende meiner Bekannten in Magadan, auch mit KRTD, haben so eine Arbeit bekommen.«
    »Na, dann ist das die Folge des Entzugs des Rechts auf Briefwechsel.«
    »Was ist denn das?«
    Ich erklärte Iwan, dass man jeder Akte eines Kolyma-Häftlings ein gedrucktes Formular beilegt, mit Leerstellen für den Namen und sonstige Direktivdaten: 1) kein Recht auf Briefwechsel, 2) Einsatz nur bei schweren körperlichen Arbeiten. Dieser zweite Punkt war der wichtigste, im Vergleich zu dieser Weisung war das entzogene Recht auf

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