Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
Briefwechsel eine Bagatelle, ein Luftballon. Dann folgten die Weisungen: keine Nutzung von Apparaten der Nachrichtenverbindung – eine offensichtliche Tautologie, wenn man vom Recht der unter Sonderregime Gehaltenen auf Briefwechsel spricht.
Der letzte Punkt – Bericht über das Verhalten des Soundso an jeden Chef einer Lagerunterabteilung mindestens einmal pro Quartal.
»Aber ich habe dieses Fomular nicht gesehen. Ich habe ja deine Akte angeschaut, ich bin jetzt nebenamtlich auch noch Leiter der URTsch.«
Dann verging ein Tag, nicht mehr. Ich arbeitete in der Grube, in einer Probegrabung am Berghang, entlang des Bachs, am Schwarzen See. Ich hatte ein Feuer gegen die Mücken gemacht und achtete nicht sehr darauf, die Norm zu erfüllen.
Die Büsche teilten sich, und Iwan Bogdanow erschien bei meiner Probegrabung, setzte sich, zündete sich eine Papirossa an und grub in den Taschen.
»Das hier, ja?«
In der Hand hielt er eins der beiden Exemplare des berüchtigten Formulars über das »Recht auf Briefwechsel«, aus der Akte ausgerissen.
»Natürlich«, sagte Iwan Bogdanow nachdenklich, »wird die Akte in zwei Exemplaren ausgefertigt: eins bleibt in der zentralen Kartothek der URO, und das andere reist gemeinsam mit dem Häftling durch alle Lagerpunkte, ihre sämtlichen Ecken und Winkel. Trotzdem wird kein einziger örtlicher Chef in Magadan anfragen, ob in deiner Akte ein Formular über den Entzug des Rechts auf Briefwechsel liegt.«
Bogdanow zeigte mir noch einmal das Papier und steckte es am Feuer meines kleinen Lagerfeuers an.
»Und jetzt mach die Eingabe für den Wächter.«
Doch als Wächter nahmen sie mich trotzdem nicht, sie gaben die Stelle Gordejew, einem Esperantisten mit zwanzig Jahren Haft nach Artikel achtundfünfzig, aber einem Zuträger.
Kurze Zeit später wurde Bogdanow – der Revierchef, nicht der Buchhalter – wegen Trunksucht entlassen, und seine Stelle übernahm Ingenieur Viktor Plutalow, der die Arbeit in unserer Kohleschürfe zum ersten Mal mit Blick auf die Sache, auf das Ingenieur-, auf das Bauprojekt anpackte.
Wenn die Verwaltungstätigkeit Paramonows gekennzeichnet war durch Unterschlagungen und die Verwaltungstätigkeit Bogdanows durch das Verfolgen von Volksfeinden und hemmungslose Trunksucht, so zeigte Plutalow zum ersten Mal, was eine Arbeitseinheit ist – nicht die Denuntiation, sondern eben ein Arbeitsabschnitt, die Menge an Kubikmetern, die jeder ausheben kann, auch wenn er unter den nicht normalen Bedingungen der Kolyma arbeitet. Wir kannten ja nur das Erniedrigende einer perspektivlosen, einer vielstündigen, sinnlosen Arbeit.
Übrigens irrten wir uns wahrscheinlich. In unserer Sklaven-, unserer Zwangsarbeit von Sonnenaufgang bis -untergang – und wer die Gewohnheiten der Polarsonne kennt, weiß, was das bedeutet – war ein hoher Sinn verborgen, ein staatlicher Sinn – eben in der Sinnlosigkeit der Arbeit.
Plutalow bemühte sich, uns eine andere Seite unserer eigenen Arbeit zu zeigen. Plutalow war ein neuer Mensch – er war gerade erst vom Festland angereist.
Seine liebste Redensart war: »Ich bin ja kein Mitarbeiter des NKWD.«
Leider fand unsere Prospektierung keine Kohle, und unser Revier wurde geschlossen. Einen Teil der Leute schickte man nach Cheta (wo damals Anatolij Gidasch Barackendienst war) – Cheta liegt sieben Kilometer von uns entfernt –, und den anderen Teil nach Arkagala, in den Schacht des Kohlereviers von Arkagala. Nach Arkagala kam auch ich, und ein Jahr später dann, als ich mit Grippe in der Baracke lag und nicht wagte, bei Sergej Michajlowitsch Lunin, dem Beschützer nur der Ganoven und aller von der Leitung Wohlgelittenen, um Befreiung zu bitten, suchte ich die Krankheit zu überwinden und ging in den Schacht, stand die Grippe auf den Beinen durch.
In diesem Fieberwahn der Grippe, in der Baracke von Arkagala bekam ich plötzlich schreckliche Lust auf Zwiebeln, die ich seit Moskau nicht im Mund gehabt hatte, und obwohl ich niemals einer Zwiebeldiät anhing – ich weiß nicht, woher dieser Traum mit dem schrecklichen Drang, in eine Zwiebel zu beißen. Ein leichtfertiger Traum für einen Kolymabewohner. Das dachte ich auch beim Aufwachen. Doch ich wachte nicht mit dem Klang des Gleisstücks auf, sondern, wie so oft, eine Stunde vor dem Ausrücken.
Mein Mund war voller Speichel, der nach der Zwiebel verlangte. Ich dachte, wenn ein Wunder geschieht und eine Zwiebel auftaucht, werde ich wieder gesund.
Ich stand auf. Über die gesamte
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