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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Kaderabteilung, ich erinnere mich nicht an seinen Namen, äußerte größtes Erstaunen über einen solchen Transport von Freien. Doch er gab dem Begleitposten eine Bescheinigung, überreichte mir meinen Pass, und ich trat hinaus auf die Straße in den grauen Regen von Magadan.
    <1973>

Dauerfrostboden
    Zum ersten Mal trat ich meine selbständige Arbeit als Feldscher an, nachdem ich einen Abschnitt übernommen hatte, zu dem die Ärzte nur ab und zu anreisten – in Adygalach, von der Transportverwaltung –, zum ersten Mal nicht unter der Obhut eines Arztes wie am Linken Ufer im Zentralkrankenhaus, in dem ich nicht völlig selbständig gearbeitet hatte.
    Ich war der oberste Mediziner. An den drei Orten gab es nur ungefähr dreihundert Lagerinsassen, die ich versorgte. Nach dem Bereisen und der medizinischen Untersuchung jedes einzelnen meiner Schützlinge entwarf ich für mich einen Tätigkeitsplan, nach dem ich mich an der Kolyma bewegen wollte.
    Auf meiner Liste standen sechs Namen.
    Nummer eins – Tkatschuk. Tkatschuk war der Chef des Lagerpunkts, an dem ich arbeiten sollte. Tkatschuk musste von mir hören, dass in allen Außenstellen bei allen Häftlingen Läuse gefunden wurden, aber dass ich, der neue Feldscher, einen Plan zum zuverlässigen und schnellen Beenden jeder Verlausung habe, die gesamte Durchhitzung voll verantwortlich selbst durchführen werde und jeden zum Zuschauen einlade. Die Läuse sind eine alte Plage des Lagers. Alle Desinfektionskammern der Kolyma, mit Ausnahme des Durchgangslagers in Magadan – sie alle dienen nur der Quälerei der Häftlinge und nicht dem Beenden der Verlausung. Ich aber kannte eine sichere Methode – gelernt hatte ich sie beim Badewärter in der Waldaußenstelle am Linken Ufer: Durchhitzung in Benzintanks mit heißem Dampf, weder Läuse noch Nissen bleiben. Nur darf man in jeden Tank nicht mehr als fünf Garnituren Kleidung legen. Das hatte ich anderthalb Jahre in Debin gemacht, das hatte ich auch in Baragon gezeigt.
    Nummer zwei – Sajzew. Sajzew war ein Häftling und Koch, den ich schon von Kilometer dreiundzwanzig kannte, aus dem Zentralkrankenhaus. Jetzt arbeitete er als Koch hier unter meiner Beobachtung. Ihm musste man nachweisen und dabei an sein Koch-Gewissen appellieren, dass man aus der Lebensmittellieferung, die wir beide kennen, viermal so viele Gerichte herstellen könnte, wie sie wegen Sajzews Faulheit bei uns herauskamen. Das lag nicht an Diebstählen durch die Aufseher und die übrige Belegschaft. Tkatschuk war ein strenger Mann, er ließ Dieben nichts durchgehen, eine bloße Grille des Kochs verschlechterte die Ernährung der Häftlinge. Es gelang mir, Sajzew zu überzeugen, ihn zu beschämen, Tkatschuk versprach ihm etwas, und Sajzew kochte aus denselben Lebensmitteln sehr viel mehr und fuhr sogar die heiße Suppe und Grütze in Blechkannen zur Produktion – etwas Unerhörtes für Kjubjuma und Baragon.
    Der dritte – Ismajlow. Er war freier Badewärter, wusch die Wäsche der Häftlinge und wusch sie schlecht. Weder in die Grube noch zur Schürfung konnte man den physisch außerordentlich kräftigen Mann aufstellen. Der Badewärter für die Häftlinge verdient nur Groschen. Aber Ismajlow klammerte sich an seine Arbeit, er wollte auf keinen Ratschlag hören, und es blieb nur, ihn zu entlassen. Ein großes Geheimnis verbarg sich nicht in seinem Verhalten. Während er für die Häftlinge schlampig wusch, wusch Ismajlow ausgezeichnet für alle freien Chefs bis hin zum Bevollmächtigten und erhielt für alles großzügige Geschenke – sowohl Geld als auch Lebensmittel –, aber Ismajlow war ja Freier, und ich hoffte, dass ich für diese Arbeit eine Häftlingsstelle durchsetzen konnte.
    Der vierte – Lichonossow. Das war ein Häftling, der bei der medizinischen Untersuchung in Baragon gefehlt hatte, und weil ich fahren musste, beschloss ich, die Abreise wegen eines Mannes nicht aufzuschieben und die alten Formeln aus der Akte zu bestätigen. Aber Lichonossows Akte fehlte in der URTsch, und weil Lichonossow als Barackendienst arbeitete, musste ich zu diesem heiklen Thema zurückkehren. Einmal traf ich Lichonossow auf der Durchreise im Abschnitt an und unterhielt mich mit ihm. Er war ein kräftiger, wohlgenährter, rotwangiger Mann von etwa vierzig Jahren, mit funkelnden Zähnen, einer dichten Mütze grauer Haare und einem riesigen grauen Vollbart. Alter? Lichonossows Akte interessierte mich eben in diesem Punkt.
    »Fünfundsechzig.«
    Lichonossow war

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