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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Genozid. Das ist die Vernichtung von Volksfeinden. Wir können die Konvention unterschreiben.«
    »Alle Schrauben werden angezogen. Wir dürfen nicht schweigen. Wie in der Fibel: ›Nicht Sklaven sind wir. Wir sind Sklaven nicht.‹ Wir müssen etwas tun, es uns selbst beweisen.«
    »Sich selbst beweist man nur die eigene Dummheit. Leben, überleben – das ist unsere Aufgabe. Und nicht untergehen … Das Leben ist ernster, als du denkst.«

    Spiegel bewahren keine Erinnerungen. Aber das, was in meinem Koffer verschlossen ist, kann man kaum Spiegel nennen – eine Glasscherbe, so als hätte sich eine Wasseroberfläche getrübt und als wäre der Fluss für immer trübe und schmutzig geblieben, nachdem er sich etwas Wichtiges, unendlich viel Wichtigeres gemerkt hatte, als der kristallene Strom des durchsichtigen, bis auf den Grund offenen Flusses. Der Spiegel hat sich getrübt und spiegelt schon nichts mehr. Aber irgendwann war der Spiegel ein Spiegel gewesen, war ein selbstloses Geschenk gewesen und wurde von mir durch zwei Jahrzehnte getragen – durch das Lager, eine Freiheit, die dem Lager ähnlich war, und alles, was nach dem XX. Parteitag kam. Der Spiegel, den mir Ingenieur Kiprejew schenkte, war kein Geschäft – das war ein Experiment, ein wissenschaftliches Experiment, die Spur dieses Experiments in der Dunkelheit des Röntgenkabinetts. Ich machte mir zu diesem Spiegelstück einen hölzernen Rahmen. Machte ihn nicht selbst, sondern bestellte ihn. Der Rahmen ist bis heute heil, ihn hat ein lettischer Tischler gemacht, ein genesender Kranker – für eine Brotration. Damals konnte ich schon eine Brotration geben für einen so ausgesprochen persönlichen, ausgesprochen leichtfertigen Auftrag.
    Ich schaue diesen Rahmen an – er ist grob, mit der Ölfarbe gestrichen, mit der man Fußböden streicht, das Krankenhaus wurde renoviert, und der Tischler hatte um ein wenig Farbe gebeten. Dann hatte er den Rahmen lackiert – der Lack war längst abgerieben. Im Spiegel ist nichts zu sehen, aber vor Zeiten in Ojmjakon habe ich mich davor rasiert, und alle Freien beneideten mich. Beneideten mich bis 1953, als irgendein freier, irgendein kluger Mensch ein Päckchen mit Spiegeln in die Siedlung schickte, billigen Spiegeln. Und diese winzigen, ein paar Kopeken kostenden Spiegel – runde und quadratische – wurden zu Preisen verkauft, die an die Preise für Glühbirnen erinnerten. Aber alle hoben Geld vom Sparbuch ab und kauften. Die Spiegel waren an einem Tag, in einer Stunde ausverkauft.
    Da weckte mein selbstgemachter Spiegel schon nicht mehr den Neid meiner Gäste.
    Den Spiegel habe ich bei mir. Er ist kein Amulett. Ob dieser Spiegel Glück bringt, weiß ich nicht. Vielleicht zieht der Spiegel die Strahlen des Bösen an, spiegelt die Strahlen des Bösen und verhindert, dass ich mich auflöse in einem Menschenstrom, in dem niemand außer mir die Kolyma kennt und den Ingenieur Kiprejew kennt.
    Kiprejew war alles egal. Irgendein Krimineller, beinahe ein Ganove, ein etwas gebildeterer Rückfalltäter, ein vom Chef zur Ausbildung eingeladener gebildeter Ganove, der das Geheimnis des Röntgenkabinetts begriffen hatte und die Hebel ein- und ausschaltete, ein Ganove, der unter dem Namen Rogow lief, lernte bei Kiprejew die Röntgentechnik.
    Hier hatte die Leitung große Pläne, und am allerwenigsten dachte die Leitung an Rogow, den Ganoven. Nein, aber Rogow zog mit Kiprejew in das Röntgenkabinett, und so kontrollierte, verfolgte und meldete er und beteiligte sich an der staatlichen Arbeit, als Volksfreund. Ständig informierte er, wies im Voraus auf alle möglichen Gespräche und Visiten hin. Und wenn er nicht störte, dann meldete und beaufsichtigte er doch.
    Das war das wichtigste Ziel der Leitung. Und außerdem bildete Kiprejew die eigene Ablösung aus, einen
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.
    Sobald Rogow das Geschäft gelernt hätte – das war ein Beruf fürs ganze Leben –, hätte man Kiprejew ins Berlag geschickt, ein Nummernlager für Rückfalltäter.
    All das begriff Kiprejew, und er hatte nicht vor, dem Schicksal zu widersprechen. Er lernte Rogow an und dachte nicht an sich selbst.
    Kiprejews Glück war, dass Rogow schlecht lernte. Wie jeder
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, der das Wichtigste verstanden hat, dass die Leitung die
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unter keinen Umständen vergisst, lernte Rogow nicht sehr aufmerksam. Aber seine Stunde kam. Rogow sagte, er könne arbeiten, und Kiprejew wurde ins Nummernlager abtransportiert. Dann fiel am Röntgenapparat etwas aus, und über

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