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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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dazubehalten.
    In diesen paar Tagen erholte sich Nowikowa. Ihre Hände zitterten nicht mehr, und die Ohrenärztin machte Kiprejew die Operation glänzend – ein sehr medizinisches Abschiedsgeschenk an ihren Röntgentechniker. Braude assistierte, und Kiprejew wurde ins Krankenhaus gelegt.
    Kiprejew begriff, dass er weiter nicht mehr hoffen durfte, dass man ihn auch nicht eine Stunde zu lang im Krankenhaus behalten wird.
    Ihn erwartete das Nummernlager, wo man im Fünferverband zur Arbeit geht, Ellbogen an Ellbogen, wo jeweils dreißig Hunde die Menschenkolonne einkreisen, wenn man sie zum Einsatz treibt.
    In dieser letzten Hoffnungslosigkeit blieb sich Kiprejew treu. Als der Abteilungschef dem Mastoiditis-Operierten, dem
seka
-Ingenieur nach der schweren Operation eine Sonderbestellung verschrieb, das heißt Diätkost, bessere Kost, lehnte Kiprejew ab und erklärte, in einer Abteilung mit dreihundert Mann gebe es schwerer Erkrankte als ihn, mit größerem Recht auf eine Sonderbestellung.
    Und Kiprejew wurde weggebracht.

    Fünfzehn Jahre suchte ich den Ingenieur Kiprejew. Ich hatte seinem Andenken ein Stück gewidmet – das ist ein wirksames Mittel des Menschen für die Einmischung ins Jenseits.
    Es hatte nicht ausgereicht, ein Stück über Kiprejew zu schreiben, es seinem Andenken zu widmen. Es musste noch auf einer zentralen Straße Moskaus in einer Kommunalwohnung, in der meine alte Bekannte lebt, die Nachbarin wechseln. Auf eine Annonce hin, im Tausch.
    Die neue Nachbarin stellte sich den Mietern vor, kam ins Zimmer und sah das Kiprejew gewidmete Stück auf dem Tisch; sie drehte das Stück in den Händen.
    »Die Initialbuchstaben sind dieselben wir bei meinem Bekannten. Nur ist er nicht an der Kolyma, sondern an einem ganz anderen Ort.«
    Meine Bekannte rief mich an. Ich wollte das Gespräch nicht fortsetzen. Das ist ein Fehler. Außerdem ist der Held im Stück ein Arzt, und Kiprejew ist Ingenieur und Physiker.
    »Ganz genau, Ingenieur und Physiker.«
    Ich zog mich an und fuhr zu der neuen Mieterin in die Kommunalwohnung.
    Sehr raffinierte Muster flicht das Schicksal. Und warum? Warum brauchte es so viele Übereinstimmungen, damit der Wille des Schicksals sich so überzeugend zeigte? Wir suchen wenig nacheinander, und das Schicksal nimmt unsere Leben in seine Hände.
    Ingenieur Kiprejew ist am Leben geblieben und lebt im Norden. Freigelassen wurde er schon vor zehn Jahren. Man hatte ihn nach Moskau gebracht, und er hatte in geschlossenen Lagern gearbeitet. Nach seiner Freilassung kehrte er in den Norden zurück. Er will im Norden arbeiten bis zur Pensionierung.
    Ich habe Ingenieur Kiprejew getroffen.
    »Wissenschaftler werde ich nicht mehr sein. Ein gewöhnlicher Ingenieur – ja. Eine Rückkehr als Rechtloser, Hinterherhinkender – all meine Berufs- und Studienkollegen sind längst Preisträger.«
    »Was für ein Quatsch.«
    »Nein, kein Quatsch. Es atmet sich leichter im Norden. Bis zur Rente wird es sich leichter atmen.«
    <1967>

Der Schmerz
    Das ist eine sonderbare Geschichte, so sonderbar, dass sie gar nicht verstehen kann, wer nicht im Lager war, wer die dunklen Tiefen der kriminellen Welt, des Reichs der Ganoven nicht kennt. Das Lager ist der tiefste Grund des Lebens. Die Verbrecherwelt – ist nicht der Grund des Grundes. Sie ist etwas ganz, ganz anderes, etwas Nichtmenschliches.
    Es gibt den banalen Satz: Die Geschichte wiederholt sich zweimal – das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.
    Nein. Es gibt noch eine dritte Spiegelung derselben Ereignisse, desselben Stoffs, eine Spiegelung im Hohlspiegel der unterirdischen Welt. Das Sujet ist unvorstellbar und trotzdem real, es existiert tatsächlich, lebt neben uns.
    In diesem Hohlspiegel der Gefühle und Handlungen spiegelt sich der durchaus reale Galgen auf den Bergwerks- »
prawilki
« , den »Ehrengerichten« der Ganoven. Hier spielt man Krieg, man wiederholt die Spektakel des Krieges und es fließt echtes Blut.
    Es gibt eine Welt der höheren Kräfte, die Welt der Homerischen Götter, die zu uns herabsteigen, um sich zu zeigen und durch ihr Beispiel die menschliche Gattung zu verbessern. Allerdings kommen die Götter zu spät. Homer lobte die Achäer, und wir begeistern uns für Hektor – das sittliche Klima hat sich etwas geändert. Manchmal rufen die Götter die Erdbewohner in den Himmel, um den Menschen zum Zuschauer der »erhabenen Schauspiele« zu machen. All das hat der Dichter längst durchschaut. Es gibt die Welt und eine

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