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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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über einem Feuer.
    Eine Dreiliterdose ist das klassische Kochgeschirr der
dochodjagi
, mit einem Henkel aus Draht, der bequem am Gürtel befestigt wird. Und wer war oder wird an der Kolyma kein
dochodjaga
sein?
    Ein Konservenglas – das ist Licht in der hölzernen Fenstereinfassung, die aus kleinen Zellen besteht, für Glasbruchstücke gedacht. Das ist ein durchsichtiger Behälter, in dem man im Ambulatorium so bequem Medikamente aufbewahren kann.
    Das Halbliterglas ist ein Gefäß für den dritten Gang in der Lagerkantine.
    Aber weder Thermometer noch Laborutensilien, noch Konservengläser sind das größte Defizit an Glas an der Kolyma.
    Das größte Defizit sind die Glühbirnen.
    An der Kolyma gibt es Hunderte Bergwerke und Minen, Tausende Abschnitte, Gruben und Schächte, Zehntausende Gold-, Uran-, Zinn- und Wolframstollen, Tausende Lageraußenstellen, freie Siedlungen, Lagerzonen und Baracken der Wachtrupps, und überall braucht man Licht, Licht, Licht. Die Kolyma lebt neun Monate ohne Sonne, ohne Licht. Das heftige, niemals sinkende Sonnenlicht rettet nicht, ändert nichts.
    Licht und Energie liefern die gekoppelten Traktoren, die Lokomotive.
    Maschinen, Waschtrommeln und Minen brauchen Licht. Mit Scheinwerfern beleuchtete Minen verlängern die Nachtschicht, machen die Arbeit produktiver.
    Überall braucht man Glühbirnen. Man bringt sie vom Festland – mit dreihundert, fünfhundert und tausend Candela, die eine Baracke oder eine Grube beleuchten können. Der ungleichmäßige Strom der Kleinmotoren verurteilt die Lampen zu frühzeitigem Verschleiß.
    Die Glühbirne ist ein staatswichtiges Problem an der Kolyma.
    Nicht nur die Grube muss beleuchtet sein. Auch die Zone und der Stacheldraht mit den Wachtürmen müssen beleuchtet sein, nach einer Norm, die der Hohe Norden erhöht und nicht senkt.
    Der Wachtrupp muss mit Licht versorgt sein. Mit einem einfachen Protokoll (wie in den Gruben des Bergwerks) ist es hier nicht getan, hier gibt es Menschen, die fliehen können, und obwohl klar ist, dass man im Winter nirgendwohin fliehen kann und an der Kolyma niemand je im Winter irgendwohin geflohen ist, bleibt Gesetz Gesetz, und wenn es keinen Strom oder keine Glühbirnen gibt, verteilt man rund um die Zone brennende Fackeln und lässt sie im Schnee bis zum Morgen, bis zum Licht. Eine Fackel – ist ein Lappen mit Heizöl oder Benzin.
    Glühbirnen brennen schnell durch. Und reparieren kann man sie nicht.
    Kiprejew verfasste ein Memorandum, das den Chef des Dalstroj erstaunte. Der Chef spürte schon einen Orden auf seiner Uniformjacke, natürlich auf der Uniformjacke und nicht dem Feldrock oder dem Jackett.
    Glühbirnen kann man reparieren – wenn nur das Glas heil ist.
    Und da flogen über die Kolyma furchtgebietende Befehle. Alle durchgebrannten Glühbirnen wurden sorgsam nach Magadan geschafft. Im Industriekombinat bei Kilometer siebenundvierzig baute man eine Fabrik. Eine Fabrik zur Wiederherstellung von elektrischem Licht.
    Ingenieur Kiprejew wurde zum Chef der Abteilung gemacht. Alles übrige Personal, der Stellenplan, der um die Aufarbeitung von Glühbirnen wuchs, waren ausschließlich Freie. Der Erfolg wurde in solide, freie Hände gelegt. Aber Kiprejew nahm das nicht wichtig. Ihn konnten ja die Gründer der Fabrik nicht übergehen.
    Das Ergebnis war glänzend. Natürlich funktionierten die Glühbirnen nach der Aufarbeitung nicht lange. Aber einige Stunden, einige goldene Tage sparte Kiprejew der Kolyma. Zusammengenommen waren es sehr viele Tage. Der Staat erhielt daraus einen enormen Gewinn, militärischen Gewinn, goldenen Gewinn.
    Der Direktor des Dalstroj wurde mit einem Lenin-Orden ausgezeichnet. Alle Chefs, die mit der Aufarbeitung von Glühbirnen zu tun gehabt hatten, erhielten Orden.
    Weder Moskau noch Magadan allerdings dachten auch nur daran, den Häftling Kiprejew zu würdigen. Für sie war Kiprejew ein Sklave, ein kluger Sklave, und weiter nichts.
    Trotzdem hielt es der Direktor des Dalstroj nicht für möglich, seinen Korrespondenten aus der Tajga ganz zu vergessen.
    Zu einem großen Fest an der Kolyma, das Moskau feierte, im kleinen Kreis, an einem großen Abend zu Ehren – wessen Ehren? – des Direktors von Dalstroj und aller, die einen Orden und Dank erhalten hatten – denn neben der Verordnung der Regierung hatte der Direktor des Dalstroj eine eigene Verordnung über Dankesbezeigungen, Auszeichnungen und Förderungen erlassen –, hatte man für alle an der Aufarbeitung der Glühbirnen

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