Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
Briefes, sagte ihm der König mündlich, und Schelgunow- Cyrano setzte die Einfälle des Königs in die Tat um.
Fünfzig solcher Briefe schrieb Schelgunow.
In einem hieß es: »Ich habe alles gestanden und bitte die Sowjetmacht, mir zu verzeihen …«
»Bitten denn urki , das heißt Ganoven«, fragte Schelgunow und unterbrach unwillkürlich den Brief, »um Verzeihung?«
»Na und ob«, sagte der König. »Das ist ein Kassiber – Schummelei, Maskerade,
tufta
. Eine Kriegslist.«
Weiter fragte Schelgunow nicht mehr, sondern schrieb ergeben alles, was ihm der König diktierte.
Schelgunow las die Briefe noch einmal laut, verbesserte den Stil und war stolz auf die Kraft seines noch nicht erloschenen Hirns. Der König stimmte bei und zog die Lippen ein wenig zu seinem Königslächeln auseinander.
Alles endet einmal. Auch das Briefeschreiben für den König ging zu Ende. Vielleicht gab es auch einen wichtigen Grund, es ging das Gerücht, die »Latrinenparole«, man werde den König doch mit einer Etappe an die Kolyma schicken, wohin er, durch Töten und Betrügen, so viele geschickt hat. Im Schlaf also werde man ihn ergreifen, ihm Hände und Füße binden und – auf den Dampfer. Es war Zeit, den Briefwechsel zu beenden, sowieso sprach Schelgunow-Cyrano schon fast ein Jahr lang Worte der Liebe zu Roxane mit der Stimme Christians. Aber man muss das Spiel auf Ganovenart beenden, so dass echtes Blut fließt …
Das Blut war geronnen an der Schläfe des Mannes, dessen Leiche vor den Augen des Königs lag.
Schelgunow wollte das Gesicht und die vorwurfsvoll blickenden Augen bedecken.
»Siehst du, wer das ist? Das ist nämlich dein Namensvetter, Schura, für den du die Briefe geschrieben hast. Heute haben ihn die operatiwniki umgelegt, ihm mit dem Beil den Kopf abgeschlagen. Anscheinend hat er einen Schal umgehabt! Schreib: ›Es schreibt Ihnen ein Kamerad von Schura! Schura wurde gestern erschossen, und ich beeile mich, Ihnen seine letzten Worte mitzuteilen …‹ Hast du geschrieben?«, fragte der König. »Wir schreiben es ab – und gut. Jetzt brauchst du keine Briefe mehr schreiben. Diesen Brief hätte ich auch ohne dich schreiben können«, der König lächelte. »Uns ist Bildung teuer, Schriftsteller. Wir sind unwissende Leute …«
Schelgunow hatte die Todesnachricht geschrieben.
Der König hatte es kommen sehen – in der Nacht wurde er ergriffen und übers Meer geschickt.
Schelgunow aber, der keine Verbindung nach Hause fand, verlor auch die Hoffnung. Einsam plagte er sich ein Jahr, zwei, drei – er wanderte zwischen Krankenhaus und Arbeit und entrüstete sich über seine Frau, die sich als Aas oder Angsthase herausstellte und die »sicheren Kanäle« nicht nutzte, die ihn, Schelgunow, vergessen und alle Erinnerung an ihn zertrampelt hatte.
Doch auch die Lagerhölle ging eines Tages zu Ende, Schelgunow wurde freigelassen und kam nach Moskau.
Seine Mutter sagte, dass sie nichts von Marina weiß. Sein Vater war gestorben. Schelgunow machte eine Freundin von Marina ausfindig, eine Kollegin vom Theater, und ging in die Wohnung, in der sie lebte.
Die Freundin schrie auf:
»Du bist nicht tot, Schura?..«
»Wieso tot? Wenn ich hier stehe!«
»Sie werden ewig leben«, aus dem Nachbarzimmer glitt ein Mann heraus. »Das ist ein Omen.«
»Ewig leben, das muss nicht sein«, sagte Schelgunow leise. »Aber was ist los? Wo ist Marina?«
»Marina ist tot. Nachdem du erschossen wurdest, hat sie sich vor den Zug geworfen. Aber nicht an derselben Stelle wie Anna Karenina, sondern in Rastorgujewo . Sie hat den Kopf unter die Räder gelegt. Der Kopf wurde exakt, sauber abgetrennt. Du hast doch alles gestanden, aber Marina wollte es nicht hören, sie glaubte an dich.«
»Gestanden?«
»Das hast du doch selbst geschrieben. Und dass sie dich erschossen haben, hat ein Kamerad geschrieben. Hier ist ihre Truhe.«
In der Truhe waren alle fünfzig Briefe, die Schelgunow Marina über seine Kanäle aus Wladiwostok geschrieben hatte. Die Kanäle funktionierten hervorragend, aber nicht für
frajer
.
Schelgunow verbrannte seine Briefe, die Marina umgebracht haben. Aber wo waren denn Marinas Briefe, wo das Photo von Marina, das sie nach Wladiwostok geschickt hatte? Schelgunow stellte sich den König vor, wie er die Liebesbriefe liest. Stellte sich vor, wie das Photo dem König »für die Séance« dient. Und Schelgunow weinte. Später weinte er jeden Tag, sein ganzes Leben.
Schelgunow lief zur Mutter, um wenigstens etwas,
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