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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Kilometer. Diese Szene habe ich täglich gesehen, bis man mich aus Dshelgala wegbrachte. Jetzt war ich zurück.
    Nicht dass man den Berg hinuntergeworfen wurde – so war die Spezialzone angelegt –, war das Allerschwerste. Nicht dass das Pferd den Arbeiter zur Arbeit schleppte. Schrecklich war das Ende der Arbeit – denn nach der zehrenden Arbeit im Frost, nach einem ganzen Arbeitstag musste man sich an Zweigen, Ästen und Baumstümpfen festkrallen und nach oben kriechen. Kriechen, und noch Holz für die Wache schleppen. Holz ins eigentliche Lager schleppen, nach den Worten der Leitung »für euch selbst«.
    Dshelgala war ein seriöses Unternehmen. Selbstverständlich gab es hier Stachanow-Brigaden, wie die Brigade Margarjan, es gab eine schlechtere Brigade, wie unsere, und es gab auch Ganoven. Hier, wie in allen Bergwerken in den Lagerpunkten der ersten Kategorie, gab es eine Wache mit der Aufschrift: »Die Arbeit ist eine Sache der Ehre, eine Sache des Ruhmes, der Tapferkeit und des Heldentums«.
    Selbstverständlich gab es hier Denunziationen, Läuse, Untersuchungen, Verhöre.
    In der Sanitätsabteilung von Dshelgala war nicht mehr Doktor Mochnatsch, der mich über einige Monate jeden Tag in der Sprechstunde des Ambulatoriums gesehen hatte und auf Forderung des Untersuchungsführers in meinem Beisein schrieb: Hftl. Soundso, ist gesund und hat sich nie mit Beschwerden an die Sanitätsstelle von Dshelgala gewandt.
    Und der Untersuchungsführer Fjodorow hatte gelacht und zu mir gesagt: nennen Sie mir zehn Namen von Lagerinsassen – beliebige, nach Ihrer Wahl. Ich schleuse sie durch mein Kabinett, und sie alle werden gegen Sie aussagen. Das war die reine Wahrheit, und ich wusste das genauso gut wie Fjodorow …
    Jetzt war Fjodorow nicht mehr in Dshelgala – man hatte ihn an einen anderen Ort versetzt. Und auch Mochnatsch war nicht mehr da.
    Wer war denn in der Sanitätsabteilung von Dshelgala? Doktor Jampolskij, ein Freier, ehemaliger Häftling.
    Doktor Jampolskij war nicht einmal Feldscher. Im Bergwerk »Spokojnyj«, wo ich ihn zum ersten Mal traf, behandelte er die Kranken nur mit Kaliumpermanganat und mit Jod, und kein Professor hätte etwas verordnet, das sich von Doktor Jampolskijs Verordnung unterschieden hätte … Die oberste Leitung, die wusste, dass es keine Medikamente gab, verlangte auch nicht viel. Der Kampf gegen die Verlausung war hoffnungs- und nutzlos, ein formaler Vermerk der Vertreter der Sanitätsabteilung in den Akten, eine allgemeine »Aufsicht« – das war alles, was die oberste Leitung von Jampolskij verlangte. Das Paradoxe war, dass Jampolskij, der für nichts einstand und niemanden kurierte, allmählich Erfahrungen sammelte und nicht weniger geschätzt wurde als jeder Arzt an der Kolyma.
    Ich hatte mit ihm eine Begegnung der besonderen Art. Der Oberarzt jenes Krankenhauses, in dem ich lag, hatte Jampolskij einen Brief mit der Bitte geschrieben, mir zu helfen, ins Krankenhaus zu kommen. Jampolskij fiel nichts Besseres ein, als diesen Brief dem Lagerchef zu geben, mich sozusagen zu denunzieren. Aber Jemeljanow verstand Jampolskijs wahre Absicht nicht und sagte, als er mich empfing: Wir schicken dich, schicken dich. Und sie schickten mich. Jetzt begegneten wir uns erneut. Gleich in der ersten Sprechstunde verkündete Jampolskij, dass er mich nicht von der Arbeit befreien und mich entlarven und Lügen strafen wird.
    Vor zwei Jahren war ich in einer schwarzen Militäretappe hierher gekommen – nach der Liste des Herrn Karjakin, des Abschnittschefs im Schacht von Arkagala. Diese Opfer-Etappe hatte man nach Listen aus allen Verwaltungen, allen Bergwerken zusammengestellt und ins nächste Auschwitz an der Kolyma geführt, in die Kolyma-Spezialzonen und Vernichtungslager nach dem Jahr achtunddreißig, als die ganze Kolyma ein solches Vernichtungslager war.
    Vor zwei Jahren wurde ich von hier zur Verhandlung geführt, achtzehn Kilometer durch die Tajga – eine Kleinigkeit für die Soldaten, sie wollten schnell ins Kino, und keineswegs eine Kleinigkeit für einen Menschen, der einen Monat im fensterlosen dunklen Karzer gesessen hat bei einem Becher Wasser und einem »Dreihunderter« Brot.
    Auch den Karzer fand ich, vielmehr Spuren des Karzers, denn schon längst war der Isolator, der Lagerisolator neu – das Unternehmen wuchs. Ich erinnerte mich, wie der Chef des Isolators, ein Wachsoldat, Angst hatte, mich zum Geschirrwaschen hinauszulassen in die Sonne – an den Durchfluss, nicht des

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