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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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bahnte mir, gebückt und das Gesicht schützend, den Weg durch die flügelschlagenden Hühner und krähenden Hähne, überwand eine weitere Schwelle, aber auch dort war kein Funker. Dort waren nur Schweine, gewaschen und gepflegt, drei kleinere Eber und ein größeres Muttertier. Und das war das letzte Hindernis.
    Der Funker saß inmitten von Kisten mit Gurkensetzlingen und Kisten mit Lauchzwiebeln. Der Funker schickte sich wirklich an, Millionär zu werden. An der Kolyma kann man auch so reich werden. Der schnelle Rubel, ein hoher Satz, die Polarration, die Anrechnung von Prozenten – das ist der eine Weg. Der Handel mit Machorka und Tee der zweite. Und Hühnerzucht und Schweinezucht der dritte.
    Von all seiner Fauna und Flora ganz an den Rand des Tisches gedrückt, streckte mir der Funker ein Häufchen Zettel hin – alle waren gleich –, wie ein Papagei , der mein Glück ziehen sollte.
    Ich wühlte in den Telegrammen, aber begriff nichts, fand meins nicht, und der Funker zog herablassend mit den Fingerspitzen mein Telegramm heraus …
    »Kommen Brief«, d.h. kommen Sie einen Brief abholen – der Fernmeldedienst sparte am Sinn, aber der Adressat verstand natürlich, worum es ging.
    Ich ging zum Revier-Chef und zeigte ihm das Telegramm.
    »Wie viel Kilometer?«
    »Fünfhundert.«
    »Na, warum nicht …«
    »In fünf Tagen bin ich zurück.«
    »Gut. Aber beeil dich. Auf ein Fahrzeug brauchst du nicht zu warten. Morgen nehmen dich die Jakuten mit den Hunden mit bis Baragon. Und dort übernehmen dich die Rentiergespanne der Post, wenn du dich nicht lumpen lässt. Hauptsache, du kommst auf die zentrale Trasse.«
    »In Ordnung, danke.«
    Ich verließ den Chef und begriff, dass ich nicht bis an diese verdammte Trasse komme, nicht einmal bis Baragon komme, weil ich keinen Halbpelz habe. Ich bin ein Kolymabewohner ohne Halbpelz. Ich war selbst schuld. Vor einem Jahr, als ich aus dem Lager entlassen wurde, schenkte mir der Gerätewart Sergej Iwanowitsch Korotkow einen beinahe neuen weißen Halbpelz. Er schenkte mir auch ein großes Kissen. Aber bei dem Versuch, mich von den Krankenhäusern loszumachen, aufs Festland zu fahren, verkaufte ich Halbpelz und Kissen – einfach um keine überflüssigen Sachen zu haben, die nur auf eine Weise enden: Sie werden gestohlen oder von den Ganoven weggenommen. So hatte ich es in der Vergangenheit gemacht. Zu fahren war mir nicht gelungen – die Kaderabteilung im Verein mit dem Magadaner MWD genehmigte mir die Übersiedlung nicht, und als das Geld zu Ende war, musste ich wieder in die Dienste des Dalstroj treten. Das tat ich, und ich fuhr dorthin, wo der Funker und die fliegenden Hühner waren, aber kam nicht dazu, einen Halbpelz zu kaufen. Ihn mir für fünf Tage von jemandem zu erbitten – über eine solche Frage lacht man nur an der Kolyma. Ich musste mir in der Siedlung einen eigenen Halbpelz kaufen.
    Es fanden sich ein Halbpelz und ein Verkäufer. Nur glich der Halbpelz, schwarz und mit luxuriösem Schaffellkragen, eher einer Weste – er hatte keine Taschen, hatte keine Schöße, nur einen Kragen und breite Ärmel.
    »Du hast die Schöße wohl abgeschnitten?«, fragte ich den Verkäufer, den Lageraufseher Iwanow. Iwanow war Junggeselle und mürrisch. Die Schöße hatte er für
kragi
, für Stulpenhandschuhe abgeschnitten, die in Mode waren – fünf Paar solcher
kragi
ließen sich aus den Schößen machen, und jedes Paar kostete einen ganzen Halbpelz. Das, was übrig war, konnte sich natürlich nicht Halbpelz nennen.
    »Ist dir das nicht egal? Ich verkaufe einen Halbpelz. Für fünfhundert Rubel. Du kaufst ihn. Die Frage ist überflüssig, ob ich die Schöße abgeschnitten habe oder nicht.«
    Und wirklich, die Frage war überflüssig, und ich beeilte mich, Iwanow zu bezahlen und trug den Halbpelz nach Hause, probierte ihn an und wartete.
    Ein Hundegespann, der schnelle Blick aus den schwarzen Augen des Jakuten, die tauben Finger, mit denen ich mich an den Schlitten klammerte, Flug und Wende – irgendein Flüsschen, Eis und Büsche, die mir schmerzhaft ins Gesicht schlugen. Aber ich hatte alles verschnürt, alles befestigt. Zehn Minuten Flug, und die Postsiedlung, in der …
    »Marja Antonowna, kann man mich mitnehmen?«
    »Man kann.«
    Hier hatte sich schon im vorigen Jahr, im vorigen Sommer ein kleiner Jakutenjunge verirrt, ein fünfjähriges Kind, und Marja Antonowna und ich versuchten, nach dem Kind suchen zu lassen. Seine Mutter hielt uns zurück. Sie rauchte Pfeife,

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