Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
rauchte lange, und dann richtete sie die schwarzen Augen auf Marja Antonowna und mich.
»Ihr braucht nicht zu suchen. Er kommt von allein. Er verirrt sich nicht. Das ist seine Erde.«
Und da sind die Rentiere – Schellen, der schmale Schlitten, der
kajur
mit Stock. Bloß heißt dieser Stock hier
chorej
, nicht
osto
, wie beim Hundeschlitten.
Marja Antonowna, der so langweilig ist, dass sie jeden Durchreisenden ein großes Stück begleitet, bis an die Tajga-»Grenze« – was sich Grenze nennt in der Tajga.
»Leben Sie wohl, Marja Antonowna.«
Ich laufe neben dem Schlitten her, aber meistens steige ich auf, setze mich hin, klammere mich am Schlitten fest, falle und laufe wieder. Gegen Abend die Lichter der großen Trasse, das Getöse der brüllenden, durch den Nebel vorbeieilenden Fahrzeuge.
Ich bezahle die Jakuten, gehe zum Warteraum, zum LKW-Bahnhof. Der Ofen dort wird nicht geheizt – kein Holz. Aber trotzdem ein Dach und Wände. Hier gibt es schon eine Schlange für ein Fahrzeug zum Zentrum, nach Magadan. Die Schlange ist nicht lang, eine Person. Ein Fahrzeug heult, der Mann läuft in den Nebel hinaus. Das Fahrzeug heult. Der Mann ist weggefahren. Jetzt muss ich in den Frost hinauslaufen.
Der Fünftonner zittert, hält mit Mühe und Not wegen mir an. Der Platz in der Kabine ist frei. Im Kasten kann man nicht fahren über eine solche Entfernung, bei solchem Frost.
»Wohin?«
»Ans Linke Ufer.«
»Nein. Ich fahre Kohle nach Magadan, und bis zum Linken Ufer lohnt es nicht einzusteigen.«
»Ich bezahle dich bis Magadan.«
»Das ist etwas anderes. Steig ein. Du kennst den Tarif?«
»Ja. Ein Rubel pro Kilometer.«
»Geld im voraus.«
Ich holte das Geld hervor und zahlte.
Das Fahrzeug versank im weißen Dunst und drosselte das Tempo. Wir können nicht weiterfahren – Nebel.
»Dann schlafen wir, ja? Bei der
jewraschka
.«
Was ist eine
jewraschka
? Eine
jewraschka
ist ein Murmeltier. Die Murmeltierstation. Wir rollten uns bei laufendem Motor in der Kabine zusammen. Blieben liegen, bis es hell wurde, und der weiße Winternebel schien nicht mehr so schrecklich wie am Abend.
»Jetzt noch ein
tschifir
chen gekocht, und wir fahren.«
Der Fahrer kochte in einer Konservenbüchse ein Päckchen Tee auf, ließ ihn im Schnee abkühlen und trank aus. Er kochte den Tee noch einmal auf, zweiter Aufguss, trank wieder aus und steckte die Büchse weg.
»Fahren wir! Und woher kommst du?«
Ich sagte es.
»Ich war schon bei euch. Ich habe sogar in eurem Revier als Fahrer gearbeitet. In eurem Lager gibt es einen Halunken, Iwanow, den Aufseher. Er hat mir meinen langen Pelz gestohlen. Hat mich gebeten, ihn das letzte Stück mitzunehmen – es war kalt im vorigen Jahr – und weg war er. Keinerlei Spuren. Und hat ihn nicht zurückgegeben. Ich habe über Leute nachgefragt. Er sagt: Ich habe ihn nicht genommen, und fertig. Ich will immer hinfahren, ihm den Pelz abnehmen. So ein schwarzer, teurer. Wozu braucht er einen langen Pelz? Er zerschneidet ihn höchstens für
kragi
und verkauft sie. Ganz in Mode heute. Ich hätte selbst diese
kragi
nähen können, und jetzt weder
kragi
noch Pelz, noch Iwanow.«
Ich drehte mich um und drückte den Kragen meines Halbpelzes zusammen.
»Auch so ein schwarzer, wie deiner. Kanaille. So, geschlafen haben wir, jetzt muss ich auf die Tube drücken.«
Das Fahrzeug flog los, dröhnte, quietschte in den Kurven – der
tschifir
hatte den Fahrer auf Trab gebracht.
Kilometer um Kilometer, Brücke um Brücke, Bergwerk um Bergwerk. Es war schon hell. Die Fahrzeuge überholten einander, begegneten einander. Plötzlich krachte es, alles brach zusammen, und das Fahrzeug blieb stehen, landete im Randstreifen.
»Alles zum Teufel!«, der Fahrer tanzte. »Die Kohle – zum Teufel! Die Kabine – zum Teufel! Die Seitenwand – zum Teufel! Fünf Tonnen Kohle – zum Teufel!«
Er selbst hatte nicht mal einen Kratzer abbekommen, und ich begriff gar nicht, was geschehen war.
Unser Fahrzeug war mit einer tschechoslowakischen »Tatra« kollidiert, die uns entgegenkam. An ihrer eisernen Außenwand war nicht mal ein Kratzer geblieben. Die Fahrer hatten das Fahrzeug abgebremst und waren ausgestiegen.
»Rechne schnell«, schrie der »Tatra«-Fahrer, »was dein Schaden kostet, die Kohle, die neue Seitenwand. Wir zahlen. Aber kein Protokoll, verstanden?«
»Gut«, sagte mein Fahrer. »Das macht …«
»In Ordnung.«
»Und ich?«
»Ich setze dich in ein vorbeikommendes Fahrzeug. Jetzt sind es noch vierzig
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