Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
der Klimowa – das ist Unsterblichkeit und ein Symbol.
Das bürgerliche Leben hinterlässt weniger Spuren als das Leben im Untergrund, das absichtlich versteckte, unter fremdem Namen und fremder Kleidung absichtlich verborgene.
Irgendwo wird diese Chronik geschrieben und kommt bsiweilen an die Oberfläche, als »Brief vor der Hinrichtung«, als Erinnerung, als Aufzeichnung von etwas sehr Wichtigem.
So sind alle Erzählungen über Klimowa. Es gibt auf der Welt nicht wenige davon. An Spuren hat Natalja Sergejewna genug hinterlassen. Nur wurden all diese Aufzeichnungen nicht zum einheitlichen Korpus eines Denkmals vereint.
Eine Erzählung ist ein Palimpsest, der all seine Geheimnisse bewahrt. Die Erzählung ist ein Anlass zur Zauberei, ist Gegenstand der Hexerei, ein lebendiges, noch nicht totes Ding , das den Helden gesehen hat. Dieses Ding kann im Museum eine Reliquie sein; auf der Straße: ein Haus, ein Platz; in einer Wohnung: ein Bild, eine Photographie, ein Brief …
Das Schreiben einer Erzählung ist eine Suche, und in das trübe Bewusstsein des Hirns muss der Duft des Halstuchs, Schals oder Umschlagtuchs eingehen, das der Held oder die Heldin verloren hat.
Eine Erzählung ist eine paleja und keine Paläographie. Die Erzählung gibt es nicht. Was erzählt, ist das Ding. Selbst im Buch, in der Zeitschrift soll die materielle Seite des Textes ungewöhnlich sein: das Papier, die Schrift, die Nachbarartikel.
Ich habe Natalja Sergejewna Klimowas Brief aus dem Gefängnis und Briefe aus ihren letzten Lebensjahren aus Italien, der Schweiz und Frankreich in der Hand gehalten. Diese Briefe sind schon an sich eine Erzählung, eine
paleja
mit einem vollendeten, strengen und beunruhigenden Sujet.
Ich habe Natalja Klimowas Briefe in der Hand gehalten nach dem blutigen eisernen Besen der dreißiger Jahre, als sowohl der Name des Menschen wie auch die Erinnerung an ihn getilgt, vernichtet wurden – nur wenige eigenhändige Briefe Klimowas sind auf der Welt erhalten geblieben. Aber diese Briefe existieren und sind erhellend wie nichts sonst. Das sind Briefe aus Petersburg, aus dem Nowinskij-Gefängnis, aus dem Ausland, nach der Flucht – an ihre Stiefmutter und Tante, an die jüngeren Brüder und Schwestern, an den Vater. Gut, dass man am Anfang des Jahrhunderts das Briefpapier aus Lumpen machte, das Papier ist nicht vergilbt und die Tinte nicht verblasst …
Der Tod des Vaters von Natalja Sergejewna im entscheidensten Moment ihres Lebens, während der Untersuchung in der Sache der Detonation auf der Apothekerinsel, ein Tod, der der Klimowa das Leben rettete – denn kein Richter wird es wagen, eine Tochter zum Tod zu verurteilen, wenn der Vater, der eine Bitte äußert, selbst stirbt.
Die Tragödie des Rjasaner Hauses näherte Natascha ihrer Stiefmutter an, verband ihr Blut – Nataschas Briefe werden ungewöhnlich herzlich.
Ihre Aufmerksamkeit für die häuslichen Sorgen wächst.
An die Kinder – Erzählungen von roten Blumen, die auf den Gipfeln der höchsten Berge wachsen. Für die Kinder wurde der Kurzroman »Die rote Blume« geschrieben. Klimowa war zu allem begabt. In ihren Briefen an die Kinder aus dem Gefängnis steckt ein ganzes Programm der Erziehung der kindlichen Seele, ohne Belehrung, ohne Schulmeisterlichkeit.
Die Formung eines Menschen ist eines der Lieblingsthemen Natalja Sergejewnas.
In den Briefen gibt es auch Zeilen, die noch lebhafter sind als der »Brief vor der Hinrichtung«. Eine gewaltige Lebenskraft – das Lösen eines Problems, und nicht Zweifel an der Richtigkeit des Weges.
Auslassungspunkte waren das Lieblingssatzzeichen von Natalja Sergejewna Klimowa. Auslassungspunkte kommen deutlich öfter vor als in der normalen russischen Literatursprache üblich. Nataschas Auslassungspunkte verdecken nicht nur eine Anspielung, einen geheimen Sinn. Das ist eine Redeweise. Klimowa kann die Auslassungspunkte in höchstem Maße ausdrucksvoll machen und nutzt dieses Zeichen sehr oft. Auslassungspunkte der Hoffnungen, der Kritik. Auslassungspunkte der Argumente, der Streitgespräche. Die Auslassungspunkte sind ein Mittel der scherzhaften, der drohenden Beschreibung.
In den Briefen der letzten Jahre gibt es keine Auslassungspunkte.
Die Schrift wird weniger sicher. Punkte und Kommas stehen weiter an ihrem Platz, aber die Auslassungspunkte sind völlig verschwunden. Alles ist auch ohne Auslassungspunkte klar. Für Berechnungen des Franc-Kurses braucht man keine Auslassungspunkte.
Die Briefe an die
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