Es begann in einer Winternacht
blinzelte einige Male, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Sich der Anwesenheit Sebastians neben ihr kaum mehr bewusst, trat sie ans Bett.
Ihr Vater schlief, den Mund leicht geöffnet. Seine Haut war bleich und seltsam glänzend, als wäre er eine Wachsfigur. Tiefe Linien durchzogen sein Gesicht und gaben seinen Wangen das Aussehen von ausgetrockneter Erde. Er schien nur noch halb so groß, wie er früher gewesen war, mit erschreckend dünnen Armen und einem zusammengefallenen Körper. Evie kämpfte darum, die unbekannte, dünne Figur auf dem Bett mit dem großen kräftigen Mann in Einklang zu bringen, als den sie ihren Vater immer gekannt hatte. Trauer und Zärtlichkeit erfüllten sie, weil sie sah, wie sein rotes Haar, nun dicht durchzogen mit Silber, an einigen Stellen hochstand – als wären es die zerzausten Federn eines kleinen Vogels.
Der Raum roch nach verbranntem Wachs, Medizin und ungewaschener Haut. Er roch nach Krankheit und nahendem Tod. Sie sah einen Haufen dreckiger Bettwäsche in einer Ecke liegen und zerknüllte blutige Taschentücher auf dem Boden. Der Betttisch war mit einer Kollektion gebrauchter Löffel und farbiger Medizinflaschen aus Glas bedeckt. Evie beugte sich vor, um einige der verschmutzten Tücher aufzuheben, aber Sebastian hielt sie am Arm zurück. „Du musst das nicht machen“, sagte er leise. „Eines der Hausmädchen kann sich darum kümmern.“
„Ja“, sagte Evie bitter. „Ich kann sehen, wie gut sie ihre Aufgaben hier erfüllen.“ Sie entzog ihm ihren Arm mit einem Ruck, hob die benutzten Taschentücher auf und ging hinüber, um sie auf den Haufen fleckiger Bettwäsche zu werfen.
Sebastian trat ans Bett und sah auf Jenners verfallene Gestalt herab. Er nahm eines der Medizinfläschchen, hielt es sich unter die Nase und murmelte: „Morphium.“
Aus irgendeinem Grund störte es Evie, ihn neben ihrem hilflosen Vater stehen und seine Medizin begutachten zu sehen. „Ich habe alles unter Kontrolle“, sagte sie mit leiser Stimme. „Ich würde es vorziehen, wenn du jetzt gehen würdest.“
„Was wirst du tun?“
„Ich werde das Zimmer aufräumen und die Bettwäsche wechseln. Und dann werde ich bei ihm sitzen.“
Seine hellen blauen Augen verengten sich. „Lass den armen Teufel schlafen. Du musst etwas essen und deine Reisekleidung wechseln. Was, denkst du, nützt es ihm, wenn du hier im Dunkeln sitzt…“ Er brach mit einem leisen Fluch ab, als er ihren störrischen Gesichtsausdruck sah. „Also gut. Ich gebe dir eine Stunde, und dann wirst du mit mir dinieren.“
„Ich werde bei meinem Vater bleiben“, teilte sie ihm unmissverständlich mit.
„Evie.“ Seine Stimme war sanft, aber sie enthielt eine unbeugsame Note, die ihren Nacken warnend prickeln ließ.
Er trat zu ihr, drehte ihren starren Körper, bis sie ihm zugewandt war, und schüttelte sie ganz leicht, sodass sie ihn ansehen musste. „Wenn ich nach dir schicke, wirst du kommen. Haben wir uns verstanden?“
Evie musste vor Empörung zittern. Er gab ihr Befehle, als wäre sie sein Eigentum. Großer Gott, sie hatte ihr gesamtes bisheriges Leben damit verbracht, die Befehle ihrer Onkel und Tanten zu befolgen, und nun würde sie sich einem Ehemann unterwerfen müssen.
Dennoch … um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, hatte Sebastian noch einiges aufzuholen, wenn er den vereinten Bemühungen der Maybricks und Stubbins’, Evies Leben unerträglich zu machen, gleichkommen wollte.
Und er war kaum unverschämt oder grausam, wenn er verlangte, dass sie mit ihm speiste. Sie schluckte ihren Ärger hinunter und schaffte es zu nicken. Als sein Blick über ihr angespanntes Gesicht glitt, kam ein seltsames Funkeln in seine Augen, wie die Funken, die ein Schmiedehammer auf einem Stück glühenden Metall hinterließ.
„Braves Mädchen“, murmelte er mit einem ironischen Lächeln und verließ das Zimmer.
8. KAPITEL
Sebastian war kurzzeitig versucht, Evie allein im Club zu lassen und in sein eigenes Haus zurückzukehren, das sich in Gehdistanz zu St. James befand. Der Verlockung eines stillen Hauses mit jeglichem Komfort, einschließlich einer gut bestückten Küche samt Vorratskammer, war nur schwer zu widerstehen. Er wollte an seinem eigenen Tisch essen und sich vor seinem Kamin in einem seiner samtgefütterten Morgenmäntel entspannen. Zur Hölle mit seiner eigensinnigen Ehefrau – wenn sie ihre eigenen Entscheidungen treffen wollte, musste sie lernen, mit den Konsequenzen zu
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