Es bleibt natürlich unter uns
Braut dünne und oftmals falsche Akkorde entlockte, die Melodien von Wiener Walzern und leichten Bearbeitungen Schumannscher Tänze von der Seele. Ein Bild häuslichen Behagens.
Aber kaum waren die achtzigtausend, die seine Frau mitgebracht hatte, in den Ausbau der Gewürzmühlen und der Packräume gesteckt, wanderte die Violine wieder auf den Speicher, und die geborene Karchas, jetzt Frau Selma Lochbichler, hatte viel Zeit, sich im Klavierspiel allein zu vervollkommnen. Im Anfang nahm Herr Lochbichler auf seine Familie noch so viel Rücksicht, daß er die Damen, zu denen er freundschaftliche Beziehungen unterhielt, weitab von Aldenberg ansiedelte. Er richtete ihnen in München, Rosenheim oder Berchtesgaden, gelegentlich auch in Nürnberg und Frankfurt, vielleicht auch in mehreren Städten zugleich, hübsche kleine Nester ein, so daß er überall, wohin ihn seine Geschäftsreisen führten, liebevolle Aufnahme fand und die teuren Hotelspesen ersparen konnte.
Später richtete er seiner Freundin Ellinor, einer hochbeinigen, sehr nordisch wirkenden Blondine — denn als kleiner Mann hatte Herr Lochbichler ein Faible für große Frauen — eine kleine, aber kostbar ausgestattete Wohnung in Aldenberg ein. Maximilianstraße 1a. Dort betrieb Fräulein Ellinor Karsten einen Salon für Handpflege, Fußpflege, Kosmetik und die Entfernung von Warzen, der sich leider keines allzu regen Zuspruchs erfreute. Nur Herr Lochbichler nahm die Dienste von Fräulein Karsten täglich von zwei bis vier Uhr nachmittags in Anspruch. Und wie der Zufall es wollte, tat auch Frau Lochbichler eines Tages ein Hühnerauge weh und sie entsann sich der winzigen Anzeige, die Fräulein Karsten einmal monatlich pro forma im ,Aldenberger Anzeiger’ erscheinen ließ. Sie erschien also in Fräulein Karstens Salon und fand es höchst merkwürdig, daß Fräulein Karsten bei ihrem Anblick blaß wurde und zurückwich, als erblicke sie ein Gespenst oder als erwarte sie das Phänomen fliegender Untertassen und anderer Porzellangegenstände in ihrer Wohnung zu erleben. Als nichts dergleichen geschah, entfernte sie, zwar mit zitternden Händen, aber doch kunstgerecht und ohne den schmerzenden Zeh mitzuamputieren, das kleine Übel, — und Frau Lochbichler war von ihrer Kunst und auch von ihrer Erscheinung so angetan, daß sie die reizende Fußpflegerin in ihrem Bekanntenkreis herzlich weiterempfahl. Ihre Harmlosigkeit war so entwaffnend, daß selbst ihre intimsten Freundinnen es nicht wagten, ihr mit klaren Worten zu sagen, weshalb sie ihr von weiteren Besuchen dringend abrieten. Sie taten, als operiere Fräulein Karsten mit rostigen Messern und als hätte sie im Verlaufe ihrer Praxis bereits die halbe Stadt ausgerottet. Als nun auch noch Herr Lochbichler selber davon anfing, wie wenig er der Kunstfertigkeit von Fräulein Karsten — wenigstens in bezug auf die Fußpflege — traue, kam es beim Abendessen im Speisezimmer der Lochbichlerschen Villa zum ersten Krach in der Ehe, in dem Frau Lochbichler obsiegte. Sie verteidigte nicht nur das berufliche Können von Fräulein Karsten, sondern fand beredte Worte für deren entzückende Erscheinung und Art. Und gewiß, rief sie, werde dieses engelhafte Wesen nur deshalb in der Stadt Aldenberg verleumdet, weil es eben hoch über der niedrigen Gier derer stände, die seiner Tugend nachstellten. — Aber hilfsbereit wie sie war, klopfte sie ihrem Gatten trotz der zornigen Auseinandersetzung kräftig auf die Schulter, weil er sich, als sie auf die Tugend ihrer Hühneraugen-Befreierin zu sprechen kam, an dem Bier gräßlich verschluckte und fast erstickt wäre.
So standen die Dinge, als ein prachtvoller Junitag Herrn Lochhehler verleitete, seine ziemlich kostspielige Freundin abzuholen und mit ihr ein wenig ins Grüne zu fahren. Weil es ein Wochentag war und weil die Schulferien noch nicht angebrochen waren, durfte er hoffen, auch in der näheren Umgebung Aldenbergs die Natur mit Fräulein Ellinor ungestört genießen zu dürfen. Sie fuhren in seinem Sportkabriolett zum Nussensee, einem entzückenden kleinen Gewässer, das, mitten im Wald gelegen, im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel der schwimmlustigen Aldenberger Jugend war. Es war ein kleiner See, ein wenig dunkel und moorig, aber sehr warm. Auch im Winter geschah es selten, daß er völlig zufror. Wie manche Gewässer in der Aldenberger Umgebung schien auch er von wannen Quellen gespeist zu werden.
Es war, als sie hinkamen, tatsächlich weit und breit kein Mensch zu
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