Es bleibt natürlich unter uns
Fräulein Elfriede Lobmüller hatte sie entgegengenommen, ahnungslos, denn sie lebte völlig zurückgezogen. Ein Bub von zehn oder zwölf Jahren hatte die Anzeige aufgegeben und bar bezahlt. Es gab eben Witzbolde in Aldenberg, die sich ihre Scherze etwas kosten ließen. An den Stammtischen wurde sogar die Vermutung ausgesprochen, daß auch die Entführung des Wagens nichts anderes als ein handfester, reichlich verspäteter Faschingsscherz sei. Das war aber nicht der Fall. Der Wagen des Herrn Lochbichler wurde in ziemlich verwahrlostem Zustand erst Monate später durch die Polizei sichergestellt. Er war inzwischen durch mehrere Hände gegangen und in Stuttgart gelandet. Die Spur nach dem Dieb verlief sich im Sand.
Lothar Lockner warf sich schon morgens in seinen Stresemann, um als Vertreter der Presse an der Einweihung des Brunnens am Schulhaus teilzunehmen. Der Anzug war noch nicht ganz bezahlt, aber der größte Teil der schwarzen Marengojacke und der gestreiften Hose gehörte ihm bereits.
„Richtig vornehm sehen Sie aus!“ seufzte Fräulein Klühspieß und entfernte ein paar Haare von seinen Schultern, die er beim Kämmen verloren hatte. „Aber sonst... ich weiß nicht! Sie waren vergnügter, als Sie hier ankamen. Seit ein paar Wochen kommen Sie mir direkt schwermütig vor, Herr Lockner...“
„Ich bin unglücklich verliebt, Fräulein Klühspieß“, murmelte er mit dumpf umflorter Stimme.
„Hach... Sie!“ kicherte Fräulein Klühspieß, „Sie hätten doch an jedem Finger zehn, wenn Sie nur wollten. — Aber Sie sind ein Steinbock, nicht wahr? Sehen Sie! Die Steinböcke... schwierige Charaktere, sehr schwierig. Wenn die nicht das kriegen, was sie haben wollen...“
„Hören Sie bloß mit dem Quatsch auf!“ sagte er etwas gereizt, „wo wir uns erst vergangene Woche das Samstaghoroskop aus den Fingern gesogen haben, weil die Post zu spät eintraf!“
„Ach! Was schon in den Zeitungen steht! Darauf gibt natürlich ein ernsthafter Astrologe nichts!“
„Und Sie sind eine ernsthafte Astrologin?“
„Sie brauchen gar nicht so zu grinsen! Da ist etwas dran!“
„Meinen Sie? Na, dann stellen Sie mir doch mal so’n Ding!“
„Dazu brauche ich Ihre genaue Geburtsstunde und den Ort, wo Sie geboren sind, — das Datum kenne ich ja...“
„Ich bin im Zug geboren worden, zwischen Pasing und München.“
„Jetzt derblecken Sie mich aber...“
„Mein Wort darauf! Ich hatte es komischerweise ziemlich eilig, auf die Welt zu kommen. Es war mir scheußlich peinlich..
„Also wann und wo geschah es?“ fragte sie ein wenig mißtrauisch.
„Zehn Minuten vor drei. Der Zug hielt gerade in München-Hauptwerkstätte, und jemand zog, als er wieder anfahren wollte, die Notbremse. Das ist die reine Wahrheit...“
„Ich weiß nicht“, sagte sie und sah ihm prüfend ins Gesicht, „aber diese Geschichte klingt doch ziemlich unwahrscheinlich.“
„Ach, die ganze Welt steckt voller Unwahrscheinlichkeiten“, sagte er düster. Es sollte wohl scherzhaft klingen, als spiele er ein wenig Theater und als gefalle er sich in einer melancholischen Rolle. Tatsächlich aber befand er sich in einer Lage, die ihn verwirrte und mit der er nicht fertig wurde. Das Erlebnis mit Jo Klapfenberg beschäftigte ihn unaufhörlich. Sie waren einander seit jener kalten Nacht im Mai nur noch flüchtig begegnet. Er hatte das Gefühl, sie wiche ihm aus und bereue es vielleicht sogar, ihn zum Mitwisser ihres peinlichen Geheimnisses gemacht zu haben. Und er hatte nichts dazu getan, um ein neuerliches Zusammentreffen mit ihr herbeizuführen. Er versuchte sich einzureden, daß sie ihm gleichgültig geworden sei, ja noch mehr, ihn überwallte ein Gefühl zorniger Bitterkeit, wenn sich ihr Bild immer wieder in seine Gedanken drängte. Und täglich war er drauf und dran, die hübsche Photolaborantin vom Foto-Volkommer ins Kino einzuladen. So oft er die Fotohandlung betrat, kam sie aus der Dunkelkammer, führte ihm seine Negative vor und versäumte es nicht, ihm zu erzählen, wieviel Mühe sie sich gerade für seine Arbeiten gebe. Er war sicher, von Fräulein Griesbeck keinen Korb zu bekommen. Aber dann fand er doch nicht den Anlauf. Und vielleicht glimmte auch in irgendeinem Winkel seines Herzens ein kleiner Hoffnungsfunke, Jo Klapfenberg eines Tages zu begegnen und von ihr zu hören, eine Laune der Natur habe ihr einen Streich gespielt, — und manchmal war er nahe daran, das ganze nächtliche Gespräch für einen Traum zu halten.
Er war
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