Es bleibt natürlich unter uns
erschrocken, „Sie denken doch nicht etwa, daß das meine Erfindung ist! Ich habe die Sache aus bester Quelle, vom Hilz-Peter, dem Sohn des Bürgermeisters, mit dem ich befreundet bin. Er hat mir erzählt, daß sein Alter gestern den ganzen Tag über vor Wut getobt hat. Er hält es für eine Schikane des Stadtpfarrers. Na, und Sie wissen ja selber, Herr Lockner, daß die beiden sich nicht besonders gewogen sind...“
Bürgermeister Hilz war parteilos. Seine Wählergruppe war die schwächste im Stadtrat. Trotzdem war er gewählt worden. Ein Sieg seiner Persönlichkeit. — Er war kein gebildeter Mann. Im Stadtrat hatte er bei der Frage, ob Aldenberg von der Bayerischen Landesbühne regelmäßig bespielt werden sollte, energisch dagegen Stellung genommen — mit der Begründung: solange dieses Theater solch neumodische Stücke und dazu nur Stücke von Amerikanern wie Dauthendey und Shakespeare bringe, setze er keinen Fuß in das Theater und gebe er keinen Pfennig von den Steuergeldern der Bürger dafür aus. — Aber er war der richtige Mann für Aldenberg. Grundehrlich, sauber und mutig. Nur die Geistlichkeit war Herrn Hilz nicht besonders grün. Der Stadtpfarrer Klett, eine autoritäre Persönlichkeit und ein streitbarer Herr, der auch im politischen Leben der Stadt eine Rolle spielte und im Hintergrund gern an den Drähten zog, konnte es nicht verwinden, daß sein Bürgermeisterkandidat bei der letzten Wahl glatt durchgefallen war. Ein farbloser, vielleicht sogar ein wenig rosarot angehauchter Bürgermeister in einer schwarzen’ Stadt, das ging dem geistlichen Herrn natürlich gegen den Strich. Lothar Lockner hielt es durchaus für möglich, daß Stadtpfarrer Klett dem Bürgermeister grollte, wenn dieser ihn tatsächlich bei der Auswahl der Brunnenfigur nicht hinzugezogen hatte. Aber für einen Zeloten, der an der unschuldigen Nacktheit des Brunnenbübchens Anstoß nehmen könnte, hielt er den geistlichen Herrn nicht.
Der weitläufige Schulhof mit seinen Grünflächen faßte die Menschen kaum, die sich dort eingefunden hatten, um an der Weihe teilzunehmen. Trotz der Ferien waren alle Klassen fast vollzählig versammelt, — aber daß auch die halbe Bevölkerung Aldenbergs sich zu diesem Anlaß, der ja nun wahrhaftig nicht gerade welterschütternd war, auf die Beine gemacht hatte, erschien Lothar Lockner ein wenig merkwürdig und befremdend. Und noch auffallender war es, daß Bürgermeister Hilz auf ihn geradezu gewartet zu haben schien, denn er löste sich, kaum daß er Lockners ansichtig wurde, aus dem Kreis seiner Stadträte und kam ihm entgegen. Er war ein Mann von etwa fünfundsechzig Jahren, mit einem blühenden Gesicht unter einer jugendlichen Fülle schneeweißer Haare, die er wie Hindenburg steif aufgebürstet trug.
„Sie haben wahrscheinlich schon gehört, Herr Lockner, daß ich Schwierigkeiten mit dem Stadtpfarrer bekommen habe...“
„Vor drei Minuten, Herr Bürgermeister“, sagte Lockner wahrheitsgemäß.
„Also von den geistlichen Herren ist tatsächlich keiner erschienen. — Ich wollte Sie nur fragen, ob der Stadtpfarrer bei Ihnen schon mit irgendeinem Artikel Stellung bezogen hat?“
„Nein, Herr Bürgermeister. Ich würde es Ihnen gewiß nicht verheimlichen, wenn es der Fall wäre. — Wollen Sie den ersten Schuß loslassen?“
„Ich werde mich hüten! — Und damit keine Unklarheiten entstehen, gebe ich Ihnen die paar Worte, die ich sprechen werde, schriftlich.“ — Er überreichte Lothar Lockner seine Rede auf einem Maschinendurchschlag. Es war eine knappe, weitzeilig geschriebene Seite. — „Vergleichen Sie bitte das, was ich sage, mit dem Text! — Ich sehe Sie nachher doch noch bei dem kleinen Imbiß im Schwanenbräu... Vielleicht wollen Sie mit unserem Bundestagsabgeordneten Huber ein paar Worte sprechen. Er ist der kleine Dicke da drüben mit dem grünen Hut und dem Gamsbart..
Die Kinder standen klassenweise geordnet im Halbkreis um die verhüllte Brunnenfigur herum. Dicht davor war eine kleine, tannengeschmückte Tribüne auf gebaut, und neben der Tribüne standen die Honoratioren Aldenbergs. Landrat Klingspor und seine Beamten, Amtsgerichtsrat Schnappinger als Vertreter des Gerichts, Gymnasialdirektor Dr. Wagenseil, Rektor Vollmalz von der Volkshochschule; die Stadträte scharten sich um den Bundestagsabgeordneten Huber, einen Mann von kerniger Art, von dem es hieß, die Herren aus Norddeutschland benötigten für seine Reden einen Dolmetscher.
Die sich anschließende
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