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Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Rede von Bürgermeister Hilz war kurz. Er erinnerte die älteren Bürger an die muffigen und dunklen Schulstuben, in denen frühere Generationen groß geworden waren und stellte ihnen die moderne Anlage gegenüber, die durch den Opfersinn der Bürger und durch die großzügige Hilfe des Staates entstanden war. (Es waren Sätze, die er schon einmal bei der Einweihung des Schulgebäudes gebraucht hatte.) Vielleicht — fuhr Bürgermeister Hilz fort — erscheine manchem Teilnehmer dieses Festaktes der Ankauf und die Aufstellung eines Kunstwerkes zu einer Zeit, in der die Stadt mit mancherlei Sorgen und finanziellen Nöten zu kämpfen habe, als eine ungerechtfertigte Verschwendung. Um so erfreulicher sei es, daß in der Stadtratssitzung, in der über die Frage dieser Anschaffung gesprochen worden sei, sich nicht eine einzige Stimme gegen die Aufstellung des Brunnens und gegen die Wahl gerade dieser Plastik erhoben habe. Es ehre die Bürger Aldenbergs, daß sie über Zweckmäßigkeiten hinaus sich den Sinn für das Schöne bewahrt und damit eine Tat vollbracht hätten, die von guter altbayerischer Art zeuge, wo neben Frömmigkeit und Bürgerfleiß auch die Kunst stets eine Heimstätte gefunden habe.
    Darauf dankte er den Ehrengästen und den zahlreichen Bürgern für ihr Erscheinen und für ihre rege Anteilnahme an den öffentliehen Ereignissen und forderte den Herrn Bundestagsabgeordneten Huber auf, den Festakt durch die Enthüllung des Brunnens zu krönen. Der Foto“Volkommer stürzte herbei, ließ sich auf ein Knie nieder und zielte mit seiner schikanösen Kamera auf Herrn Huber, um den feierlichen Augenblick im Bilde festzuhalten. Der hohe
    Gast griff nach der Leine und überlegte kurz, ob er auch noch ein paar kernige Worte sprechen sollte, aber trotz der Kürze seiner vorbereiteten Rede hatte ihm der Bürgermeister Hilz eigentlich schon alles weggenommen, was er hätte sagen wollen. So ließ er es mit einem: „Alsdann schaugn ma ins dös Figürl mal oo…“, bewenden und zog kräftig an. Die Leinenhülle teilte sich und fiel rauschend nieder. Im gleichen Augenblick drehte Hausmeister Beilmeier den Hahnen auf, und aus dem Maul des Delphins stieg wie ein Schnürl ein silberner Wasserstrahl in die Höhe und versprühte in der Brunnenschale.
    Die Zuschauer klatschten, es war nicht ganz klar, wessen Leistung der Beifall galt, dem Bundestagsabgeordneten Huber oder dem Hausmeister Beilmeier, die Kapelle blies ohne ersichtlichen Grund einen dreifachen Tusch, und der Lehrer Hauppt hob den Taktstock, um die Feier mit Paul Gerhardts „Nun danket all und bringet Ehr’„ der ganzen Schulgemeinde ausklingen zu lassen — da sah Lothar Lockner, daß Bürgermeister Hilz sich verfärbte. Er wurde nicht blaß, sondern sein an sich schon ein wenig apoplektisch wirkendes Gesicht lief so dunkel an, als würde ihn im nächsten Augenblick ein Schlaganfall treffen. Auch unter den Stadtvätern entstand Unruhe, und diese Unruhe pflanzte sich über diejenigen, die nah am Brunnen standen, auf die weiter entfernt stehenden Zuschauer fort. Es war, als liefe ein Windstoß über ein Getreidefeld oder als rühre ein Steinwurf den klaren Spiegel eines Weihers auf. Plötzlich hoben sich alle Köpfe.
    „Da ist doch was los...!“ flüsterte der junge Kerschbaumer und reckte den Hals.
    „Das ist ja ein tolles Stück!“ stieß Lothar Lockner hervor und rieb sich die Augen, als fürchte er, das Opfer einer Halluzination zu sein. Und da sah es auch der junge Mann an seiner Seite. An der Brunnenfigur fehlte etwas. Ein winziges Stückchen Bronze. Jenes Zipfelchen, das beim Betrachten des kleinen Nackedei keine Zweifel darüber aufkommen ließ, es handle sich bei dem dargegestellten Objekt um einen Knaben.
    Eine gewaltige Unruhe entstand, ein Wispern und Flüstern und Raunen, als rausche ein Sturm durch den Wald. Der Lehrer Hauppt stand viel zu weit entfernt, um die Ursache erkennen zu können, aber er ließ den bereits erhobenen Taktstock sinken, als er sah, daß Bürgermeister Hilz nach einer kurzen Auseinandersetzung mit einigen Herren des Stadtrates und auch mit dem Bundestagsabgeordneten Huber, dem die Sache sehr unangenehm zu sein schien, noch immer hochrot im Gesicht, zum zweitenmal auf das Rednerpodium eilte und ruheheischend die Hand hob.
    „Bürger Aldenbergs! Hier ist ein Bubenstreich vollführt worden, der uns alle angeht! Denn die Tat, die hier geschehen ist, wird weithin ruchbar werden mH unsere Stadt der Lächerlichkeit und dem

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