Es bleibt natürlich unter uns
bekommen. Ich wüßte heute noch nicht, was ich damit anfangen sollte. Mal wußte ich es. Da wollte ich ihn versetzen. Aber da war es leider gar kein Silber...“
Er vermochte sie nicht zu erheitern. Sie preßte seinen Arm an ihre Brust, als wünsche sie, in seine Wärme hineinzukriechen
„Ich habe solche Angst...!“
„Du darfst keine Angst haben!“
„Du kennst meinen Vater nicht!“
„Das höre ich jetzt schon zum dritten- oder viertenmal. Ich glaube, du machst ihn schlimmer, als er in Wirklichkeit ist..
Jo Klapfenberg blieb stehen. Sie sah sich um, als befürchte sie, hinter den Bäumen könne ein verborgener Lauscher stehen.
„Was ist?“ fragte er beunruhigt und horchte in die Dunkelheit, „hast du jemand gehört?“
„Nein, nein... es ist nur... ich möchte dir ein Geheimnis anvertrauen... Aber du mußt mir versprechen, keinem Menschen auch nur eine Silbe davon zu verraten!“
„Na hör einmal!“ sagte er halb belustigt und halb gekränkt, daß sie nach all dem, was sie ihm anvertraut hatte, nun glaubte, sich seines Schweigens besonders versichern zu müssen. Gleichzeitig war er nicht wenig auf das gespannt, was er zu hören bekommen sollte. Ihre Vorbereitungen waren dazu angetan, ihn neugierig werden zu lassen, und er hätte sich nicht gewundert, zu erfahren, ihr Vater hätte den Grundstock seines Vermögens einem Bankraub zu verdanken.
„Du weißt doch, was heute passiert ist...“
„Ich weiß nicht, was du meinst. Es ist heute eine ganze Menge passiert, angefangen von der Brunnenweihe bis...“
„Das meine ich ja!“ unterbrach sie ihn flüsternd.
„Verzeih, aber ich verstehe dich trotzdem nicht...“
Sie hob sich auf den Zehenspitzen zu seinem Ohr: „Mein Vater war es!“
„Was war dein Vater?“ fragte er zurück und ärgerte sich über sein blödsinniges Geflüster.
„So versteh mich doch endlich! Vorgestern war der Stadtpfarrer Klett bei meinem Vater, und sie hatten ein langes Gespräch miteinander. — Es wäre eine Schande, wenn man solch ein unsittliches Bildwerk gerade im Schulhof aufstellte...“
Lothar Lockner starrte sie aus tellergroßen Augen und mit offenem Munde an. Er brachte keinen Laut heraus. —
„Und in der Nacht ist mein Vater zum Schulhof geschlichen und hat... ach, du weißt doch, was er getan hat!“
„Nein!“ keuchte er und es klang, als würde ihm die Kehle zugedrückt, „das ist nicht möglich! Das kann nicht wahr sein! Das glaube ich einfach nicht!“
„Doch, doch, es ist wahr! Er hat mit der Eisensäge aus unserm Werkzeugkasten dem Brunnenbuberl das Zipferl abgesägt. Vor lauter sittlicher Entrüstung. — So ist mein Vater! Verstehst du jetzt, daß er bestimmt einen Schlaganfall bekommt, wenn er erfährt, daß ausgerechnet seine Tochter...“
„Hör auf!“ stöhnte er und krümmte sich, als würde er plötzlich von gräßlichen Magenschmerzen überfallen.
„Was hast du?“ fragte sie ängstlich, „was fehlt dir?“
Ihm fehlte nichts. Er bemühte sich nur, nicht zu platzen, aber es ging über seine Kräfte. Er lachte, daß ihm die Tränen in den Kragen rannen und daß ihm die Seiten weh taten. Es dauerte lange, bis er sich halbwegs beruhigen konnte. Seine Phantasie ging immer wieder mit ihm durch, wenn er sich die nächtliche Szene am Brunnen vorstellte.
„Du kannst leicht lachen“, sagte sie, von seiner Heiterkeit nicht im mindesten berührt, „aber mir steht das alles bis zum Halse! — Wenn die anderen Kinder zum Baden an die Ache oder an den Nussensee gingen, dann mußte ich daheim bleiben. Ich hätte doch entdecken können, daß es Buben und Mädchen gibt! An der Tanzstunde durfte ich nicht teilnehmen. Es hätte doch etwas passieren können! Und als ich mit einundzwanzig Jahren zum erstenmal einen Lippenstift benutzte, da machte der Vater solch einen Wirbel, daß ich zum Schluß selber glaubte, ich sei eine Hure. Zehnmal war ich drauf und dran, von daheim durchzubrennen...“
„Ein reizender kleiner Haustyrann, dein alter Herr... Teufel, Teufel, ich habe wahrhaftig nicht geglaubt, daß es so etwas heutzutage noch gibt. — Und wahrscheinlich hättest du jetzt nicht die Sorgen, die du hast, wenn du etwas weniger behütet aufgewachsen wärest. Deinem alten Herrn müßte man mal einen Kursus in moderner Kindererziehung geben...“
„Verstehst du jetzt, weshalb ich hier herauskommen wollte?“
„Ja“, murmelte er, „so kam also Herr van Dorn — kam, sah — und siegte...“
Sie hatten einen weiten Bogen geschlagen
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