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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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rostiger Eisentopf! Mir wird übel, wenn ich sie nur ansehe. Sie tragen eine große Schuld daran, daß ich einen nervösen Magen bekommen habe! Was suchen Sie hier?«
    »Ihre mütterliche Hilfe, Rosalia Antonowna.«
    »Soll ich Sie mit einem Breichen füttern, he?«
    »Matilda Felixowna wird wieder einmal zu einem Problem …«
    »Dacht' ich mir's doch! Aber diesmal beschmutzen Sie ihre eigenen Stiefel, Väterchen! Matilda ist auf Wunsch des Zaren hier! Sie wäre nie gekommen! Nie! Sie hat nämlich Visagen wie die Ihre auch gründlich satt!«
    »Sie soll bei der Krönung tanzen …«
    »Daß Sie das schon wissen …!« rief die Bondarewa spöttisch. »Hui, wie schnell arbeitet doch unsere Polizei!«
    »Und danach sollte sie nach Madrid zurückfahren …«
    »Nach New York!« versetzte Rosalia stolz. »Sie wird Amerika erobern!«
    »Sie wissen also auch nichts weiter?« fragte der Polizeipräsident mit saurem Gesicht.
    »Was weiß ich nicht?«
    Rosalia Antonowna beugte sich vor. In ihrem Magen bohrte ein dumpfer Schmerz – seit Wochen! Er war zu ertragen, es stach oder brannte nicht, wie der Arzt sie gefragt hatte, es war ein schwerer Druck, als hätte man einen Stein verschluckt.
    Ab und zu mußte die Bondarewa aufstoßen, dann hatte sie meist einen galligen Geschmack im Mund, den sie entweder mit Tee oder – heimlich – mit einem Schnaps wegspülte. Letzteres hatte ihr der Arzt streng verboten, aber Rosalia nannte ihn Mustin gegenüber einen Vollidioten und bewies mehrmals, daß ein tiefer Schluck aus der Flasche ihr besser half als jede bittere Medizin, die sie bei einem schielenden Apotheker abholen mußte. Der Apotheker war ihr unsympathisch, und schon das war ein Grund, die Medizin wegzuschütten.
    »Matilda Felixowna soll den Wunsch geäußert haben, wieder in St. Petersburg zu bleiben.« Der Präsident holte schnaufend Atem. »Sie hat es sogar dadurch bekräftigt, daß ihr Agent Aronow einen Vertrag der Opernintendanz vorlegte. Geht man darauf ein … Das könnte eine Katastrophe geben! Die Zarin würde erfahren, was früher einmal gewesen ist …«
    »Was ist gewesen, Sie Wurm?« brüllte die Bondarewa los. »Was? Ich zertrete Sie …«
    »Matilda Felixowna muß nach den Krönungsfeierlichkeiten wieder abreisen!« sagte der Polizeipräsident stur. »Sie müssen ihr ausreden, daß sie in St. Petersburg bleibt.«
    »Ich? Ausgerechnet ich? Ihre Mutter, die herbeigesehnt hat, daß ihr Täubchen zurückkommt? Ich? Seit ihrem Weggang habe ich neunundvierzig Kerzen gestiftet, ich werde morgen die fünfzigste anzünden, eine Kerze, so groß wie ein Obelisk!«
    »Wir müssen sie entfernen, ehe sie das Glück des Zaren zerstören kann …«
    Es war ein schwerwiegender Fehler des Präsidenten, das, was er dachte, auszusprechen, zumindest so direkt vor der Bondarewa.
    Er sah das auch sofort ein, als ihm die Teetasse entgegenflog, der er nur mit einem geistesgegenwärtigen Seitenschritt entgehen konnte.
    »Hinaus!« schrie Rosalia Antonowna. »Und wenn Ihre Polizei in mein Haus dringt, lasse ich aus den Dachfenstern Kanonen abfeuern, damit ganz Petersburg hört, was hier geschieht! O mein Magen!«
    Sie preßte beide Hände auf den Leib und starrte den Polizeipräsidenten mit flackernden Augen an. »Diese Aufregungen! Meine armen Nerven! Ihr bringt mich um, ihr alle bringt mich um! Einen schwarzen Zylinder haben Sie ja schon mitgebracht. Sie sind gekommen, mich zu töten …«
    Es war sinnlos, jetzt mit der Bondarewa weiter zu streiten. Der Polizeipräsident warf die Pralinenschachtel auf ein Sofa, setzte seinen Zylinder auf und verließ schnell das Zimmer.
    Hinter sich hörte er Rosalia Antonowna seufzen und stöhnen.
    Sie schien tatsächlich krank zu sein, was ihn sehr verwirrte. Er hatte sich damit abgefunden, daß die Bondarewa so fest und unverwittert stand wie die Mauern der Petersburger Paläste und Brücken.
    Am Abend, als Matilda und Boris von einem Ausflug nach Peterhof zurückkehrten, empfing sie so etwas wie ein Familienrat. Da Rosalia Antonowna in ihrer wuchtigen Person alle Instanzen in sich vereinigte, war das Tribunal sehr klein, aber äußerst schlagkräftig. Die Anwesenheit von Mustin Fedorowitsch war nicht erstaunlich, – er gehörte zur Familie.
    Der Zwerg und das Riesenweib bildeten das wunderlichste Gespann, das man im turbulenten St. Petersburg je gesehen hatte.
    »Man hat dir richtig berichtet, Mamuschka!« sagte Matilda ohne Zögern, als Rosalia Antonowna mit Tränen in der Stimme, – aber

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