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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auch mit tiefem, verborgenem Groll die Neuigkeit preisgab.
    »Wenn es möglich ist, bleibe ich in St. Petersburg. Man ist bereit, mich hier zur Primaballerina assoluta zu machen. Was kann man sich mehr wünschen?«
    »Auf dich wartet die Welt!« rief die Bondarewa.
    »Jeder Ort ist auch von St. Petersburg zu erreichen. Es gibt Eisenbahnen, es gibt Schiffe. Vielleicht fliegen die Menschen eines Tages auch durch die Luft …«
    »Sie ist verrückt!« stotterte Rosalia und starrte dabei hilfesuchend Boris Davidowitsch an. »Sie ist total verrückt geworden! Ruft einen Arzt! Menschen können bei ihr fliegen! Vielleicht sogar bis Moskau, was?«
    »Bis London, Paris und nach Amerika …«
    »Hilfe! Man muß sie festbinden! Mein armes Schwänchen …«
    »Warum soll ich nicht in St. Petersburg bleiben?«
    »Das fragst du mich?«
    »Wegen des Zaren?«
    »Du sagst es! Er ist verheiratet, hat ein Kind, es werden noch mehr Kinder kommen …«
    »Wer hindert ihn daran?«
    »Hör einer diese Unbotmäßigkeit an!« Die Bondarewa stöhnte wieder. Der Magen! Dieser nervöse Druck, diese Krämpfe! »Jedesmal, wenn er dich auf der Bühne sieht, wird ihn die Erinnerung plagen! Und jeder Blick auf dich ist eine Untreue gegenüber der Zarin! Und dann bleibt es nicht bei den Blicken, ihr trefft euch wieder … Nicht auszudenken!«
    »Ich will tanzen, sonst nichts!« sagte Matilda Felixowna. »Ich habe es probiert, Mütterchen: Die Welt ist groß und schön, aber ein Russe kann wirklich nur in Rußland leben. Ich … ich hatte Heimweh, wo ich auch war.« Sie blickte von ihrer Mutter zu Mustin, dann von dem Zwerg zu Boris. »Ich bleibe in Rußland, wenn man mich nicht verbannt …«
    »Das kann leicht passieren«, orakelte Mustin.
    »Ohne den Willen des Zaren?«
    »Ohne! Es gibt Gerichte, die verurteilen im Namen des Zaren. Was sie tun, geschieht mit seinem Wissen. Sie haben alle Vollmachten. Der Zar erfährt es nie, wohin man dich verbannt hat. Kein Schreiben, keine Petition käme vor seine Augen! Du wirst lautlos ausgelöscht! Eine Namenlose.«
    »Aber meine Stimme würde ganz Petersburg hören!« schrie die Bondarewa.
    »Die wird man als erstes auslöschen! Dann wird aus Boris Davidowitsch eine der ›Toten Seelen‹, irgendwo weit im Osten der Taiga. Und mich? Mich wird man wie einen Floh zerquetschen. Wer in ganz Petersburg vermißt mich denn?« Mustin sah traurig seine überlangen Arme an. »Nikolai Alexandrowitsch empfängt mich kaum noch. Die neue Zarin mißachtet mich, sie will, daß er sich von mir löst. Sie hat ihre eigenen Günstlinge und Berater. Wenn sie mich sieht, macht sie Augen, als habe sie auf eine Kröte getreten. Meine Zeit im Anitschkowpalast läuft ab. Ich merke es von Tag zu Tag: Die Freunde bröckeln weg. Die Speichellecker verflüchtigen sich, suchen nach anderen Einflugstellen. Ich bin in eine Ecke gestellt, ein Teil der Einrichtung – wie die alten Uniformen und Waffen. Wenn ich dort versteinere, – es würde niemand merken. So ist das jetzt, ihr Lieben! Der Zar? Die starke Hand? – Der Zar ist froh, wenn man ihn in Ruhe läßt. Er träumt davon, wie sein Vater, der Bär, autokratisch herrschen zu können und sieht nicht, daß die Aufklärung immer mehr in Rußland um sich greift. Vor allem die Jugend drängt zu Neuerungen, zu mehr Rechten für das Volk.«
    Mustin wiegte den dicken Kopf hin und her. Er fuhr fort: »Ich liebe meinen Herrn. Ich könnte für ihn sterben … aber ich bin nicht blind vor Treue! Ein Fehler war's, ihn zum Zaren zu machen. Man hätte ihn als Bürger Romanow in die Welt schicken sollen. Er hätte nichts geleistet, aber er hätte zufrieden gelebt. Mehr will er ja gar nicht!«
    »Und was hat das mit Matilda zu tun?« fragte Rosalia Antonowna.
    »Viel, Mütterchen!« Mustin faltete die Hände. »Man könnte Matilda vernichten und Nikolaus II. damit meinen! Man kann einen Menschen töten, ohne ihn selbst zu verletzen.«
    »Was ist deine Meinung, Borja?« fragte die Bondarewa.
    »Ich will, daß Matilda glücklich ist«, antwortete Boris Davidowitsch. »Nichts anderes will ich. Und wenn sie nur in St. Petersburg glücklich sein kann, dann muß sie hierbleiben. Wir sind dafür da, eine schützende Mauer um sie zu bilden.«
    »So sei's denn!« Mustin rieb sich die große Nase und war sehr ernst dabei. »Wir werden von einem Heer von Feinden umgeben sein. Rußland wird sich wandeln … ich glaube, das ist nicht mehr aufzuhalten!«
    Die Proben verliefen ohne Zwischenfall. Schon nach den ersten

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