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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erster Hinsicht trainieren und nochmals trainieren, bis zur Erschöpfung, bis zu zitternden Muskeln und schmerzenden Knochen. Es hat noch keinen großen Künstler ohne Schweiß gegeben!
    Die Jegorowna führte Matilda stolz durch die Ballettschule, stellte ihr die künftigen Ballerinen vor und ließ einige von ihnen vortanzen.
    Schmal und schüchtern wie früher, aber nun eben doch ganz eine Königin des Tanzes, saß Matilda in einem vergoldeten Bühnensessel und sah den jungen Tänzern und Tänzerinnen zu.
    Die Erinnerung wurde wach an jenen Nachmittag, an dem der Zarewitsch die Schule besucht und eine junge Elevin vor ihm getanzt hatte, dann in einem tiefen Hofknicks verharrte und schließlich in Ohnmacht fiel, als die Hand des Thronfolgers sie berührte.
    Was das alles wirklich erst drei Jahre her?
    Nicht ein Jahrhundert?
    O Niki, wie lange können drei Jahre in der Erinnerung werden, wenn man mit der Vergangenheit abgeschlossen hat! Wie schnell können Ereignisse versinken, wie verschwommen Gedanken an ein vergangenes Glück werden …
    Ich liebe Borja, ich liebe ihn wirklich, aber ich weiß nicht, ob ich ihn jemals heiraten werde. Das ist widersinnig – ich weiß es, aber ich glaube, daß ich ein Mensch bin, der überhaupt nicht heiraten sollte. Ich kann das nicht erklären … ich fühle es nur!
    Am nächsten Morgen besuchte Matilda die Kaiserliche Oper.
    Auch hier empfing man sie als die große Künstlerin, die sich gnädig bereit erklärt hatte, vor dem Zaren anläßlich der Krönung zu tanzen.
    Im Büro des Intendanten wurden ihr von den Bühnenbildnern und Ausstattungschefs die Entwürfe vorgelegt; die Kostüme gefielen ihr besonders gut. Enrico Cecchetti, der Chef des Balletts, breitete vor ihr die Besetzungsliste aus. Sie konnte Wünsche äußern und konnte bestimmen, mit wem sie tanzen wollte.
    Der große Marius Petipa wollte nur die vorbereitende Choreographie dieser Festaufführung ›Schwanensee‹ übernehmen, dann mußte er nach Moskau fahren, um dort alles für den zweiten Teil der Krönungsfeierlichkeiten vorzubereiten.
    Da die Zaren-Inthronisation immer noch nach den Riten von Byzanz, die Großfürst Basil III. von Moskau im 15. Jahrhundert eingeführt hatte, vor sich ging, war Moskau schon seit Wochen in einer Art von Festfieber.
    Die Kirchen im Kreml wurden geschmückt, der Kremlpalast auf Hochglanz gebracht, Pläne für das Dirigieren der Menschenmassen ausgearbeitet. Man rechnete mit über einer Million Russen, die ihrem neuen Zaren huldigen wollten … Ein gewaltiges Fest, wie es Rußland bei den beiden letzten Krönungen nicht erlebt hatte.
    Petipa wollte auch in Moskau ›Schwanensee‹ tanzen lassen und wollte die Möglichkeiten inspizieren.
    »Mir ist alles recht«, sagte Matilda bescheiden. »Ich habe nur den einen Wunsch: Ich möchte in St. Petersburg bleiben …«
    Das war ein Signal, das wie eine Sprengladung wirkte.
    Sie ging zunächst hinter verschlossenen Türen los: Da im zaristischen Rußland immer und überall Polizeispitzel tätig waren, da nach dem ständigen Anwachsen revolutionärer Ideen keiner dem anderen traute und vor allem der kaiserliche Hof sich immer unsicherer fühlte, wurde diese Bemerkung der Felixowna sofort weitergegeben und entsprechend interpretiert.
    Schon am nächsten Tag fuhr eine geschlossene Kutsche vor, und ein stämmiger Mann in Zivil, mit einem feierlichen Zylinder auf dem Kopf, betrat das Palais Stroitsky.
    Der Kammerdiener zuckte bei seinem Anblick zusammen und beeilte sich, den Besucher anzumelden.
    »Der Herr Polizeipräsident ist soeben ins Haus gekommen«, sagte er bedrückt.
    Rosalia Antonowna, die gerade beim Tee saß und unlustig ein Stück Blätterteig verzehrte – seit Wochen hatte sie ihre große, ja fast heilige Freude am Essen verloren, was sie sehr deprimierte –, warf das Kuchenstück an die Wand, stemmte die Hände in die Seiten und donnerte: »Er soll nur kommen! Was er damals versäumt hat, kann er heute nachholen: Aus meinem Haus fliegen!«
    Der Herr Präsident, noch voll der Erinnerung an seinen letzten Auftritt bei der Bondarewa, hatte sich gut vorbereitet. Er brachte eine große Pralinenschachtel mit, trug sie vor sich her wie einen Schild und fühlte sich hinter diesem süßen Schutz halbwegs sicher.
    Es war bekannt, daß Rosalia Antonowna sofort milde gestimmt wurde, wenn man sie mit etwas Eßbarem ansprach. Um so entsetzter war der Polizeipräsident, als ihm entgegentönte:
    »Die Pralinen nützen Ihnen gar nichts, Sie

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