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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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tatsächlich im Volk eine Revolution ausbräche …
    »Wird Matilda dieser ungeheuren Drohung nachgeben?« fragte der Intendant der Kaiserlichen Oper.
    »Nein! Wir bleiben in St. Petersburg.«
    »Bravo, Boris Davidowitsch!« Großfürst Alexej klatschte in die Hände. »Das wäre einen Orden wert!«
    »Heften Sie ihn Matilda an.« Soerenberg scheute sich nicht, die Wahrheit zu sagen. »Sie will bleiben! Das allein ist maßgebend. Gönnen wir ihr – so Gott und die Politik es wollen – ein paar glückliche Jahre.«
    »Sie alte Unke!« sagte der Großfürst rauh aber leutselig. »Geben Sie mir den Wisch her, Soerenberg. Ich bringe ihn meinem Vetter! Wir werden einen Fidibus daraus machen und damit unsere Pfeifen anstecken …«
    Die Generalprobe mißlang.
    Matilda Felixowna war unkonzentriert, schmiß den großen Pas de deux, stolperte und starb ihren Schwanentod ohne jegliche Spannung oder Innigkeit. Petipa, der für zwei Tage aus Moskau zurückgekommen war, verzichtete darauf, sie anzubrüllen, wie es seine Art war … Er wußte von dem Brief und übersah zum Erstaunen des gesamten Corps de ballet alle Schnitzer.
    »Ich bitte um Verzeihung –«, sagte Matilda kaum hörbar. »Ich weiß, wie schlecht ich war. Aber ich habe auch nur Nerven …«
    »Auf der Bühne?«
    »Es wird alles besser, Marius. Hab keine Angst! Wenn die Generalprobe schlecht ist …«
    »Ich weiß, ich weiß!« Petipa winkte ab.
    Die Festaufführung von ›Schwanensee‹ am 9. Mai 1896 ist in die Ballettgeschichte eingegangen; sie wird unvergessen bleiben.
    ›Die Felixowna‹ – wie sie jetzt hieß – war kein menschliches Wesen mehr – sie war ein Schwan, war die Schwanenkönigin selbst, die an der Liebe zu einem Menschen stirbt.
    »So hat noch nie jemand getanzt«, sagte selbst der kritische Petipa in der Seitenkulisse. »Mein Gott, wie hast du uns mit dieser Frau gesegnet!«
    In seiner Loge saß Zar Nikolaus II., neben sich die Zarin Alexandra Fjodorowna, juwelenfunkelnd, hübsch, aber von einer deutlichen Melancholie umgeben. Sie hatte Rußland ein Kind geschenkt, eine Tochter, keinen Thronerben. Das hatte man eigentlich von ihr erwartet. In ihrem Schoß lag das Schicksal der Dynastie Romanow, das Weiterleben der zaristischen Macht.
    Sie blickte auf die Bühne, aber sie dachte an etwas ganz anderes als an das Schicksal der Schwanenkönigin. Sie nahm ein Ballett wahr – mehr aber auch nicht.
    Sie dachte an die Krönung, an ihren Einzug in Moskau, an die Minute, in der der Zar in der Himmelfahrtskathedrale im Kreml niederknien und aus der Hand des Metropoliten die Zarenkrone empfangen würde …
    Dann würden alle Glocken läuten; dann würden sich Millionen von Menschen bekreuzigen und in Jubel ausbrechen. Wo in aller Welt gab es so etwas noch einmal?
    Das heilige Rußland gehörte ihnen … Ihm, ihrem Niki, und ihr, der Zarin Alexandra Fjodorowna.
    Gott halte Deine Hand über uns …
    Nikolaus II. saß mit steinernem Gesicht in einem Sessel und starrte auf die Bühne. Was er jetzt dachte, was er fühlte, er, der mächtigste Mann der Welt, dem die Krone, die er noch gar nicht trug, schon jetzt den Kopf zusammenpreßte, konnte niemand nachempfinden.
    Der Großfürst hatte ihm das Manifest, das Matilda in der Garderobe bekommen hatte, übergeben. Er hatte es weitergereicht an seinen väterlichen Freund und Berater Pobedonoszew, der den Text zähneknirschend gelesen hatte.
    Noch am selben Abend schwärmten in St. Petersburg und Moskau die Polizeispitzel aus, um etwas über diesen Kreis von Revolutionären zu erfahren. Am frühen Morgen des nächsten Tages waren bereits siebenunddreißig Verdächtige verhaftet worden. Sie leugneten, auch wenn man sie mit Stöcken und Ruten zusammenschlug.
    Der Beifall für Matilda war eine einzige Ovation.
    Dann drehten sich alle aus dem Rund des Opernhauses zur Zarenloge und applaudierten Nikolaus II. zu. Er dankte ernst und würdevoll.
    Er lächelte sogar einen Augenblick, als ihm sein Generaladjutant zuflüsterte: »Vor der Oper stehen Zehntausende. Die ganze Stadt versinkt in einem Freudentaumel. Das Volk liebt Euer Majestät.«
    Es liebt mich, dachte Nikolaus. Warum?
    In ihrer Garderobe, die einem Blumenmeer glich, fand Matilda keinen Korb des Zaren. Ein Leibhusar wartete auf sie, übergab ihr einen Brief und verschwand sofort wieder. Mit zitternden Fingern riß sie den Umschlag auf.
    Seine Handschrift! Ein paar kurze Zeilen, ein Aufschrei.
    »Es war ein Fehler, Dich zu rufen! Wärest Du nie gekommen!

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