Es blieb nur ein rotes Segel
kaum noch atmen! Eine fürchterliche Frau, diese Jegorowna!«
»Eine wunderbare Frau!«
Matilda lachte, lehnte sich an ihn und blickte über die Straße. Dort stand eine mit dicken Fellen ausgelegte Troika mit kleinen, stämmigen Pferden. Aus den Nüstern trieb in weißen Wolken ihr Atem, die Felle waren mit Eiskristallen überzogen. Ein Kutscher, dick und vermummt, nur an den Armen noch als Mensch erkennbar, saß auf dem Bock, als sei er in Frost erstarrt. Wenn das mittlere Pferd, das Stangenpferd, sich schüttelte, klingelten kleine silberne Glocken an dem hohen gebogenen Geschirr.
»Gehen wir heute zu Fuß?« fragte Matilda ahnungslos.
»Ich habe eine Troika gemietet. Dort drüben …«
»Sie ist wirklich für uns?« Sie freute sich wie ein Kind, und ihr müdes Gesicht verwandelte sich. Es strahlte, wie von innen erleuchtet. »Wissen Sie, Boris Davidowitsch, daß ich in meinem Leben bisher fünfmal in einer Troika gefahren bin? Ich habe es genau gezählt und behalten. Es war immer ein Erlebnis. So viele Menschen fahren in einer Troika, draußen die Bauern, hier die hohen Herren – aber wie kommt unsereins dazu, in ihr zu fahren? Dreimal habe ich als Kind darin gesessen, da kannte Mama einen Fuhrmann, ich nannte ihn Onkel Genjka, und er kam oft zu uns, brachte uns Sauerkohl und Brot, Grieß und Mehl. Das war, bevor Mama ihren Marktstand erbte. Wenn er Zeit hatte, fuhr er mit mir durch St. Petersburg, über die Brücken, hinüber nach Petrograd oder zur Jelagininsel, zum Hafen der alten Galeeren oder zum Newski-Kloster. Das waren immer Feiertage für mich! Als ich vierzehn war, lud mich ein Baron ein, der die Ballettschule mit seinem Besuch beehrte und – wie Sie – am Tor auf mich wartete. Aus dieser Troika bin ich dann hinausgesprungen …«
Ihr Gesicht war plötzlich sehr hart geworden.
»Ich verstehe«, sagte Boris Davidowitsch gepreßt. »Wenn Sie mir seinen Namen noch nennen können, fordere ich ihn zum Duell!«
»Es war furchtbar! Als ich mich wehrte, schlug er mich, und der Kutscher hieb auf die Pferde ein und raste wie irrsinnig hinaus nach Paljustrowo. Hinter der Gießereibrücke konnte ich dann aus der Troika springen; ich rollte durch den Schnee und verstauchte mir den linken Knöchel. Und was tut der Herr Baron? Er läßt die Troika wenden und jagt auf mich zu! Will mich von den Hufen in den Schnee stampfen lassen! Aber es gelang mir, unter die Brücke zu flüchten, da konnte er mit dem Schlitten nicht hin. Ich habe drei Wochen im Bett liegen müssen. Mama habe ich nur erzählt, ich sei auf dem Eis ausgerutscht. Keiner weiß davon … Sie sind der erste, Boris Davidowitsch.«
»Wer war es?« Der Leutnant legte wie schützend den Arm um Matilda. »Sie müssen sich an den Namen erinnern! Bitte, denken Sie nach! Denken Sie ganz scharf nach!«
»Fünf Jahre fast ist es her, Boris …« Sie sah ihn groß an. »Was würden Sie mit ihm tun?«
»Ihn wie Sie mit der Troika durch den Schnee hetzen …«
»Und töten?«
»Wenn er verliert … Er hat seine Chance! Sie hatten damals keine!«
»Sie könnten wirklich meinetwegen einen anderen Menschen vernichten?«
»Jederzeit!«
»Warum, Boris Davidowitsch?«
Das war nun eine Frage, die man nicht auf der Straße, im schmutzigen Schnee stehend und vom Frost angegriffen, so leichthin beantworten konnte. Boris von Soerenberg winkte hinüber zur Troika.
Der zu Eis erstarrte Kutscher wurde plötzlich lebendig, ließ ein lautes Schnalzen hören, dann rief er: »Wollt ihr wohl die Beinchen bewegen, ihr Miststücke?« Die Troika zog an, die Stahlkufen knirschten durch den Schnee, und in weitem Bogen glitt der große Schlitten heran.
»Wohin sollen wir fahren, Matilda Felixowna?« fragte Boris. »Wünschen Sie sich etwas! Alles, nur nicht nach Hause! Ein so schöner Tag ist heute!«
Er war froh, damit einer Beantwortung von Matildas Frage ausgewichen zu sein. »Morgen wird es vielleicht wieder schneien, der Himmel ist grau. Es liegt Schnee in der Luft. Das Thermometer ist um drei Grad gestiegen.«
Die Troika hielt. Matilda trat an sie heran. Der Kutscher grüßte militärisch. In seinem Bart hatte sich die Atemluft zu kleinen Eiszapfen verdichtet. Die Beine staken bis zu den Knien in zwei Säcken mit Stroh.
Boris half Matilda beim Einsteigen und deckte sie dann mit dicken Felldecken zu. Es waren Fuchs- und Marderpelze, und Matilda vermummte sich mit ihnen, bis nur noch ihr Kopf aus dem Fellberg ragte. Soerenberg rollte sich neben ihr in einen
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