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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Spürhunde fanden mich sofort. Man fesselte mich, schleppte mich nach Schirwan, legte mir dort Ketten an und fuhr mich in einer geschlossenen Holzkutsche, wie in einem Käfig, nach St. Petersburg.
    Und da stehe ich eines Tages vor einem hohen Herrn in einer goldgestickten Uniform. Der sieht mich an und lacht. Dann fragt er mich: ›Hast du schon einmal in einen Spiegel geblickt?‹ Und ich antworte: ›Ich brauche nur dich anzusehen, um zu wissen, wie häßlich man sein kann!‹ Da lacht er noch mehr, man nimmt mir die Ketten ab, führt mich in eine Wohnung – so etwas Schönes habe ich noch nie gesehen! Man zeigt auf einen Burschen, der sich verneigt, und sagt zu mir: ›Das ist dein Diener. Morgen wirst du dem Zaren und dem Zarewitsch vorgestellt!‹ Dann läßt man mich allein. Ich gehe umher: Zimmer mit Seidentapeten, Fenster zu einem Park mit Springbrunnen, goldene Türgriffe, sogar ein Badekabinett, das ich bestaune, denn ich habe bisher immer nur im Fluß gebadet. Dann kommt der Diener mit einer für mich geschneiderten Uniform aus Samt, Brokat und Spitzen.« Mustin nickte mehrmals. »So bin ich nach St. Petersburg gekommen … eingefangen wie ein seltenes Tier. Mein Aussehen wurde zu meinem Glück …«
    »Eigentlich eine traurige Geschichte, Mustin Fedorowitsch«, sagte Rosalia Antonowna. »Und das haben Sie alles ohne Schnaps ertragen?«
    »Ich habe es Ihnen erzählt, um zu zeigen, was Aussehen wert ist! Meine Häßlichkeit machte mich reich … Ich fürchte, daß Matildas Schönheit sie arm machen wird.«
    »Sie wird einmal reich heiraten!«
    »Nicht als Mätresse des Zarewitsch.«
    »Das wird sie nie werden!« schrie die Bondarewa. »Vorher drehe ich dem Täubchen den Hals um!«
    »Sie sollten sich um Boris Davidowitsch kümmern, Rosalia Antonowna«, sagte der Zwerg Mustin. »Er ist ein schöner, tapferer, ehrlicher Mensch. Nur Geld hat er wenig. Ein kleines Gut in Kurland, das aber sein Bruder erbt. Er bleibt Offizier, wird vielleicht mal General, aber nur, wenn es neue Kriege gibt. Und die wird es geben!«
    »Dann wird Matilda also bald Witwe sein …«
    »Oder Frau Major, Frau Oberst, Frau General! Wer weiß das? Sie haben viele Jahre vor sich – und in vielen Jahren gibt es viele Kriege. Das hat der Mensch so an sich. Er wird unruhig, wenn zu lange Frieden ist. Er ist erst wieder glücklich, wenn geschossen und gestorben wird – ein merkwürdiges Geschöpf, dieser Mensch! Sie werden es erleben, Rosalia: Boris Davidowitsch wird seinen Weg machen. Ein Offizier hat immer zu leben, dafür sorgen schon die Regierungen. Und Boris liebt Matilda …«
    »Ist das wahr?« Rosalia starrte den Zwerg ungläubig an. »Wenn er hier ist, sitzt er herum und spricht nicht mehr wie ein Stockfisch. Er schaut das Töchterchen nur immer an, spielt ein paar Runden Domino oder Schach und geht dann wieder. Er knallt die Stiefel zusammen und grüßt wie auf der Parade. Und draußen – dann ist der Teufel los! Da stehen sie vor dem Haus und beschimpfen ihn. Gestern haben sie sein Pferd mit Pech eingerieben. Wie kann man auch mit silberbeschlagenem Zaumzeug in diese Gegend kommen? Was hat der gute Tichon Benjaminowitsch getan, der Hauswirt und Trödler unten? Er hat das Gäulchen in seinen kleinen Laden gezogen, hat es hingestellt zwischen die alten Anzüge und all den Kram, hat es mit Brotstückchen gefüttert und versucht, das Pech aus dem Fell zu reiben. Und was sagt der hoch wohlgeborene Herr Offizier, als er sein Pferd abholt? ›Gott vergelt's Ihnen, lieber Mann!‹ – Das war alles. Nicht eine Kopeke! Minajew hat fast geheult vor Wut! ›Das nächstemal steche ich das Biest ab!‹ hat er getobt. ›Mir hat Gott noch nie etwas vergolten! Laß ihn nur morgen wiederkommen! Er wird glücklich sein, wenn er nur noch die Hufe wiederfindet!‹ – Ob das nun der richtige Mann für Matilda ist?«
    »Er ist jedenfalls der richtige, um den Zarewitsch von Matilda fernzuhalten«, sagte Mustin und hüpfte von seinem Stuhl. »Überlegen Sie es sich, Madame: Die Oper von Odessa ist die schönste der Welt!«
    »Und dort wird ein anderer Fürst sein, der meiner Tochter nachläuft!«
    »Aber kein Thronfolger, Madame. Darauf allein kommt es an! Wer einen Thron erbt, gehört dem ganzen Volk, nicht einem Menschen allein. Nikolai Alexandrowitsch wird einmal die Tochter eines anderen Regenten heiraten. Man munkelt von Alice, Prinzessin von Hessen, einer Enkelin der englischen Königin Victoria und Nichte des deutschen Kaisers Wilhelm

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