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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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muß er haben! Stählerne Nerven! Was nützt der schönste Grand jete en tournant, wenn ein Blick des Zarewitsch die Knie weich macht? Sieh mich an!« Matilda hob den Kopf noch höher. »Und gerade du wirst Nerven brauchen können, gerade du! Glaubst du, der Zarewitsch hat dich schon vergessen?«
    »Ich hoffe es«, erwiderte Matilda leise. »Ich weiß, ich habe mich dumm benommen. Es war ja nur eine höfliche Geste.« Ihr Blick wurde flehend. »Kann nicht Alla Petrowna die Aurora tanzen? Ich werde versagen …«
    »Unsinn! Du wirst einen Triumph erleben! Man wird dir zujubeln und nicht der Pischnowskaja!«
    »Sie wird mich danach hassen …«
    »Auch daran mußt du dich gewöhnen, das gehört zum Erfolg, zum Leben. Je mehr du kannst, je berühmter du wirst, um so mehr wird dich deine Umwelt beneiden. Sie werden sich die Hände wund klatschen, aber ebenso rot werden ihre Mäuler sein, denn am liebsten möchten sie dich fressen! Auf dem Gipfel des Ruhmes wirst du der einsamste Mensch sein! Tausende werden zu deinen Füßen liegen, aber ihre Seelen erreichen dich nicht mehr, weil du weißt, daß alle diese Menschen dir den Schmuck, die Kleider, die Pelze, die Pferde, die Kutsche, die Villa, das Geld neiden. Auch wenn du dir dafür die Füße blutig getanzt haben wirst … sie werden dir nie verzeihen, daß du mehr geworden bist als sie sind.« Tamara Jegorowna klatschte in die Hände. »Du wirst die Aurora tanzen! Und wenn der Zarewitsch dir wieder die Hand küßt, wirst du fest auf deinen Beinen stehen wie eine Säule!«

V
    Es war ein sonniger Tag. St. Petersburg lag unter tiefem Schnee, die Kälte klirrte bei jedem Schritt, die Moika begann zuzufrieren, die kleinen Kanäle hatten schon Eisdecken, die Kuppeln der Kirchen glänzten, als seien sie mit Kristalldiamanten bestäubt.
    Auf den großen Prospekten waren die Eishacker unterwegs und hieben die Straßen frei, damit die Pferde nicht ausrutschten, schaufelten den verharschten Schnee an die Straßenränder und säuberten die Gehsteige.
    An den Straßenecken, auf Plätzen und Märkten und an den Zugängen zu den öffentlichen Parks qualmten die Öfen der Kastanienröster. Der Duft hing wie eine Wolke über ihnen; in dicken Steppmänteln, Pelzmützen und Filzstiefeln, aus deren Schäften Stroh ragte, mit dem sie ausgelegt worden waren, saßen die Kastanienröster auf ihren Hockern und riefen ihre heiße köstliche Ware, die Maronen, aus.
    Ein paar Kopeken die Tüte – schöne, heiße frisch aufgeplatzte Maronen – das wärmte den Gaumen, den Magen, das lag wie ein heißer Stein im Körper und trieb die Kälte hinaus.
    Boris Davidowitsch hatte von Matilda erfahren, daß heute nur am Vormittag geprobt würde; für den Nachmittag war die Jegorowna nach Zarskoje Selo gerufen worden.
    Das Offizierskorps der Husaren bereitete einen internen Theaterabend vor, bei dem ein kleines Ballett tanzen sollte. Der Tenor Sumawelisch würde singen, der berühmte Schauspieler Juwalew trug pikante Gedichte vor und die Soubrette Warenskaja würde frivole Lieder singen …
    Da der Abend von den Freunden des Zarewitsch, den Grafen Scheremetjew und Woronzow-Daschkow, inszeniert wurde, ahnte die Jegorowna aus reicher Erfahrung, was sich nach dem offiziellen Teil abspielen würde.
    Gerade das Offizierskorps der Gardehusaren von Zarskoje Selo war als der vornehmste Herrenclub von St. Petersburg berühmt. Es bestand ausnahmslos aus Adligen, Söhnen bester Familien, die überall Bewunderung erregten, wenn sie auf ihren Schimmeln zu den Paraden ritten.
    Um einen solchen ›Theaterabend‹ zu besprechen, kam die Jegorowna selbst in die Zarenresidenz. Sie suchte dafür aus den umfangreichen Ballettgruppen Mädchen aus, deren Moral so kurz war wie ihre Ballettröckchen.
    Boris Davidowitsch mußte trotzdem bis gegen zwei Uhr warten, bis er Matilda aus dem Tor der Ballettschule kommen sah. Er lief ihr entgegen, umarmte sie, zog sie an sich und lachte als er sah, wie verlegen sie wurde. Ihr Gesicht, von einer großen Mütze aus Fuchspelz umrahmt, sah zerbrechlich wie feinstes Porzellan aus. Die großen Augen schienen noch weiter als sonst zu sein.»Endlich!« rief Boris Davidowitsch von Soerenberg und schlang die Arme um Matilda, als müsse er sie trotz des dicken, gesteppten Wollmantels mit dem Pelzbesatz wärmen. »Endlich! Die Sonne wartet nicht!«
    »Bis vor zehn Minuten haben wir probiert, Boris Davidowitsch.«
    »Ich sehe es! Ich erkenne es an Ihren Augen, Matilda. Sie können vor Erschöpfung

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