Es blieb nur ein rotes Segel
Kristallkaraffe … natürlich war sie eingepackt, in einem mit Seide bezogenen Karton, aber ich habe ihn geöffnet, man weiß ja nie, was einem da ins Haus kommt … Dann macht er eine tiefe Verbeugung, aber dabei sehe ich, wie er die Nase rümpft. Einen Topf habe ich ihm in den Rücken geschleudert. Ha, so schnell konnte er nicht hinaus, ich habe ihn doch getroffen! Ja, so war das!«
Sie sah Matilda mit rollenden Augen an. »Ich durfte doch ein bißchen probieren, nicht wahr, mein Töchterchen …?«
»Stell das Parfüm hin, Mama«, sagte Matilda, schloß das Fenster und streckte dann die Hand aus. »Wo ist der Brief?«
»Welcher Brief?«
»Bei den Rosen war ein Brief, Mama.«
»Ich habe keinen Brief gesehen, mein Schwänchen.«
»Lüg nicht!« Sie wedelte mit der Hand. »Gib ihn her.«
Rosalia Antonowna seufzte tief, griff in ihren Busen und zog das Kuvert hervor.
Es war noch ungeöffnet.
Matilda riß es auf. Eine Karte ohne Aufdruck fiel ihr entgegen. In einer steilen, schönen Schrift war da geschrieben:
»Ich denke viel an Sie, Matilda Felixowna. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich Sie. Meine kleine private Welt füllen Sie aus. Ich fiebere dem Tag entgegen, an dem ich Sie wiedersehen kann. Bitte, denken Sie an mich, wie Sie allgegenwärtig sind Ihrem Nikolai Alexandrowitsch Romanow.«
»Lies vor!« rief Rosalia Antonowna. »Verheimliche deinem armen Mütterchen nicht eine Silbe! Alles hat sie für dich getan, du bist ihr einziges Leben …«
Matilda legte die Karte unter die Rosen, zog ihren Mantel aus, nahm ihrer Mutter die Parfümkaraffe aus der Hand und setzte sich neben sie auf den Diwan. Eine Weile schwiegen sie, ein dumpfes, lastendes Schweigen, das von Sekunde zu Sekunde schwerer wurde.
»Es ist furchtbar, Mama«, sagte Matilda endlich. »Was soll ich tun?«
»Ich habe es geahnt!« Die Bondarewa boxte gegen ihren Magen, weil sie spürte, daß sie wieder aufstoßen mußte. »Weiße Rosen im Winter! Französisches Wasser! Die rotweiße Schleife um den Strauß … Der Kerl von Reiter in einem Biberpelz, so vornehm, daß er lispelte …«
»Ein Brief vom Zarewitsch …«
»Gott segne und zerschmettere ihn! Rosen! So fängt es an bei den Hochwohlgeborenen! Wann, befiehlt er, mußt du zu ihm kommen?«
»Er denkt immer an mich …«
»Jawohl! Vor allem, wenn er allein im Bett liegt …«
»Er liebt mich wirklich, Mama …«
»So nennen es die vornehmen Leute!«
»Der Zarewitsch liebt mich! Mama! Der Zarewitsch! Im ganzen großen Rußland liebt er nur mich!«
Matilda ließ sich nach hinten auf den Diwan fallen und schlug die Hände vor ihr Gesicht. Rosalia schielte zu ihr hin.
Dann sagte sie laut: »Wir werden nach Odessa flüchten!«
Matilda nahm das nicht ganz wahr. »Ihr Nikolai Alexandrowitsch Romanow, schreibt er. Ihr – mein Gott, Mama, wie sage ich das Borja?«
»Borja? Wer ist Borja, he?«
»Boris Davidowitsch.«
»Das feine Reiterchen? Seit wann heißt er denn bei dir Borja?« Rosalia fuhr herum. Sie riß Matilda am Kleid zu sich empor und schüttelte sie. »Wieso nennst du den Kerl Borja?«
»Wir haben uns verlobt, Mama. Vorhin – vor Gott, in der Kathedrale St. Isaak von Kiew. Und Mönche haben dazu gesungen …«
»Welch ein Unglück! O welch ein Unglück!«
Die Bondarewa schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Warum straft mich der Himmel so? War ich nicht immer eine ehrliche Frau? Verlobt, sagst du? Mit einem Husarenoffizier? Und der Zarewitsch schickt ihr weiße Rosen, fünfzig Stück, und französisches Parfüm. Das ist der Untergang, mein Engel! Wir schweben sozusagen schon über dem Abgrund …«
Plötzlich weinte sie. Die gute dicke Rosalia schluchzte zum Erbarmen, umarmte immer wieder ihre Tochter, drückte sie an sich, wie sie es immer getan hatte, als Matilda noch ein Kind war und mit irgendeinem Kummer zu ihr gekrochen kam.
So umarmt saßen sie lange im Schein der trüben Lampe, sahen auf die weißen Rosen und rochen das französische Duftwasser. Sie hatten beide das Gefühl, auf einem grenzenlosen Ozean zu treiben, wo niemand mehr ihre Hilferufe hörte.
VII
Das Duell fand am Freitag statt, vormittags um zehn Uhr.
Burjew war zwei Tage zuvor als Sekundant Boris von Soeren bergs vom Fürsten Jussupow empfangen worden. Ganz in Schwarz, mit einem Zylinder auf dem Kopf, selbst der Pelzkragen war aus schwarzem Fuchs, fuhr Burjew in einer Kalesche vor.
Wer ihn so sah, mußte annehmen, daß er mindestens ein Verwandter der steinreichen Stroganows
Weitere Kostenlose Bücher