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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Roheit. Man ahnte, daß seine Schläge aus der Zusammenballung aller Muskeln kommen würden.
    Die Sekundanten Burjew und Graf Palladini sprachen flüsternd miteinander. Sie verglichen ihre Uhren und stimmten sich miteinander ab, daß der Kampf so lange fortgeführt werden sollte, bis einer der Duellanten kampfunfähig war oder durch Heben des Säbels hoch in die Luft freiwillig aufgab.
    Im ernstesten Fall wurde der Kampf durch den Tod beendet. Das war zum Beispiel möglich, wenn ein Schlag die Halsbeuge treffen und die Schlagader zerfetzen sollte, oder wenn ein gewaltiger Hieb den Schädel spalten würde.
    Fürst Jussupow selbst trug die Säbel herbei. Sie lagen auf zwei schwarzen, mit dem Wappen des Fürstenhauses bestickten Samtkissen. Boris hatte noch nie solche herrlichen Säbel gesehen: die Griffkörbe aus feinster Ziselierarbeit waren vergoldet; die blitzenden Klingen waren edelste Damaszenerarbeit, rasiermesserscharf in den Schneiden, auf dem Rücken kunstvoll mit orientalischen Ornamenten graviert.
    Kramskoj nahm als erster seinen Säbel und wog ihn in der Hand.
    Soerenberg ließ seine Klinge durch die Luft sausen – es gab einen zischenden, fast pfeifenden Klang. So dick kann Luft sein, dachte er, wenn sie eine so herrliche Klinge durchschneidet.
    Kramskoj beobachtete Boris wie der Habicht eine Maus. Seine Augen waren enger geworden … mit gespreizten Beinen stand er da, ließ den Säbel in der Hand wippen und wollte offensichtlich Furcht verbreiten. Das psychologische Vorspiel hatte begonnen – der lautlose Nervenkrieg.
    »Er liegt gut in der Hand!« sagte Boris zufrieden. »Die richtige Gewichtsverteilung. Ein wunderbarer Säbel.«
    »Wie mich das freut, Boris Davidowitsch.« Jussupows Stimme klang ein wenig säuerlich. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen den Säbel schenken. Der Sieger darf ihn behalten.«
    »Hoheit, ich bedanke mich!« Soerenberg verbeugte sich knapp. »Ich nehme das Geschenk mit Freuden an.«
    Kramskoj nagte an seiner Unterlippe. Seine Nerven vibrierten. Soerenbergs Siegesgewißheit erregte ihn maßlos.
    »Was ist?« rief er grob. »Sind sich die Sekundanten endlich klar? Worauf warten wir noch? Was gibt es noch zu besprechen? Ich bin auf zwölf Uhr bei der Fürstin Trubetzkoi verabredet.«
    »Bitte in Position!«
    Graf Palladini zog seinen Frack zurecht. Fürst Jussupow griff nach einem dritten Säbel, der auf einem Kulissenstein gelegen hatte, und ging in die Mitte der Bühne. Es war seine Aufgabe, sofort den Kampf zu trennen, wenn die Regeln verletzt würden; etwa, wenn jemand stechen statt schlagen würde – oder wenn nach seiner Ansicht einer der Kämpfer sich nicht mehr verteidigen konnte.
    Burjew trat an die Seite von Boris, klopfte ihm auf die nackte Schulter und sagte leise:
    »Kramskoj wird sehr unbeholfen sein. Er hat die Hose schon jetzt voll.« Dann ging er drei Schritte zur Seite und gab den Platz frei.
    Graf Palladini flüsterte auch Kramskoj ein paar Worte zu. Sicherlich waren es beruhigende Sätze.
    »Kampf frei!« sagte Jussupow laut. Er hüpfte in Ausgangsstellung, den Säbel nach vorn gestreckt und gesenkt.
    Boris Davidowitsch beobachtete seinen Gegner. Kramskoj verzichtete auf die klassische Fechterposition. Er kam langsam auf Soerenberg zu, den Säbel waagerecht erhoben, den Kopf in die breiten Schultern gezogen. Ein fleischgewordener Gedanke: Töte ihn!
    Auf Klingenlänge blieb er vor Boris stehen und ließ die Waffe wippen. Das traditionelle Kreuzen der hochgehobenen Säbel, aus dem sich dann der Kampf entwickelte, mißachtete er.
    Jussupow wollte etwas sagen, er, der Schöngeist, bestand auch bei diesem Duell darauf, daß die Form gewahrt blieb.
    Er wollte seinen Säbel heben und unterbrechen, aber dazu kam es nicht mehr.
    Kramskojs Klinge zischte hoch und fiel in einem leichten, gefährlichen Bogen auf Boris nieder. Blitzschnell geschlagen war das, ohne Ansatz, aus der Schulter heraus … aus einem Aufzucken zischte der Tod.
    Doch Boris Davidowitsch blockte ab. Er brauchte nicht die Klinge zu sehen … er forschte nur in Kramskojs Augen und erkannte genau, was er wollte. Der Blick verriet den Bruchteil einer Sekunde früher, was geschehen würde. Mit einem hellen, klirrenden Laut stießen die Säbel zusammen, mit hocherhobenen Armen drehten sich Boris und Kramskoj, als seien sie aneinandergeschmiedet, dann stieß Soerenberg den Fürsten weg und schlug noch im Wegdrehen zu.
    Kramskoj hatte Glück. Er parierte, mehr aus einem Reflex heraus, schlug Boris'

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