Es blieb nur ein rotes Segel
bildete das kleine Theater mit einem ovalen Zuschauerraum und einer ziemlich tiefen Bühne.
Der Vorhang war geöffnet. Die Kulissen stellten eine weite Parklandschaft dar, die so raffiniert gemalt war, daß man nicht den Eindruck hatte, vor Wänden aus Leinwand und Pappe zu stehen, sondern wirklich in einem sommergrünen Park mit schattigen Wegen, großen Skulpturen aus der griechischen Sage und – in der Ferne – einem rauschenden Wasserspiel zu sein.
Vor der Bühne, in dem von einem hölzernen Geländer abgetrennten, schmalen Orchesterraum, warteten Fürst Kramskoj und ein unbekannter Mann – im Frack wie Burjew –, ferner ein älterer Herr mit einem dickglasigen Kneifer auf der Nase.
Jussupow blieb an der Tür des Zuschauerraums stehen und ließ den Anblick auf Boris von Soerenberg wirken.
»Ich habe mich bemüht, etwas Atmosphäre zu schaffen«, sagte er. Es klang höflich; Soerenberg wußte nicht, ob es auch spöttisch gemeint war. Auf jeden Fall begann das Duell, außergewöhnlich zu werden.
Ein Kampf auf Leben oder Tod in Theaterkulissen, beleuchtet von farbigen elektrischen Lampen an der Rampe, den Seitenkulissen und von der Decke. Jussupow war besonders stolz darauf, sein Theater nach den modernsten Erkenntnissen gebaut zu haben und vor allem die Elektrizität auszunützen. »Wenn sich die Herren nicht doch noch verständigen können, lasse ich natürlich mehr Licht auf die Bühne geben. Einen richtigen sonnigen Sommertag …«
»Es ist nach zehn, Hoheit.« Soerenbergs Stimme war etwas tadelnd. »Wir sollten anfangen.«
Jussupows letzter Anlauf, die Dinge zu wenden, war gescheitert. Er ging wieder voraus und wartete am Orchestergeländer. Soerenberg und Burjew folgten. Fürst Kramskoj sah bleich und übernächtigt aus. Er trug einen dunkelbraunen Anzug im englischen Schnitt. Mit unruhigen, brennenden Augen sah er Soerenberg an. In seinen Mundwinkeln zuckte es. So sah kein Mann aus, dem der Sieg gewiß war.
»Die Herren von Soerenberg und Burjew«, stellte Jussupow vor. Bis auf Kramskoj verneigten sich die Herren knapp. Jussupow wandte sich an Soerenberg. »Das ist Graf Jean-Baptiste Palladini, ein Freund des Fürsten. Dr. Janis Abramowitsch Mrozek, der beste Wundarzt, den Petersburg zu bieten hat.«
Der Herr mit dem dicken Kneifer nickte würdig. Auf dem Stuhl, auf dem sonst der erste Bratschist des Jussupow-Orchesters saß, stand seine Arzttasche. Der typische, eckige, schwarze Lederkoffer, den man in der Mitte aufklappen kann und der in seinen einzelnen Fächern alles für den Notfall bewahrt. Jetzt hatte Dr. Mrozek seinen Koffer umgebaut; er hatte vor allem Klammern, Pinzetten, Nahtmaterial, Gefäßklemmen und blutstillende Mittel mitgebracht.
»Ein allerletzter Versuch –«, sagte Fürst Jussupow laut.
»Bitte nicht!« Soerenberg hob die Hand. »Ich habe mich mit der Dame, die Kramskoj unter die Kufen seines Schlittens nehmen wollte, vor einigen Tagen verlobt.«
»Sie sind wirklich gründlich, Boris Davidowitsch.« Jussupow hob resignierend die Schultern. »Unter diesen Umständen …« Er warf einen Blick zu Kramskoj.
Der Fürst trommelte mit den Fingern an einem Notenständer. »Bist du bereit, Valentin Wladimirowitsch?«
»Immer!« Es war ein Knurren, das Kramskoj von sich gab. Ein Blick voller Haß traf Soerenberg. Burjew stieg bereits die Treppe zur Bühne hoch und stellte sich in das Scheinwerferlicht. In seinem Frack, inmitten der Parkdekoration, sah er aus, als wolle er eine Arie singen.
Graf Palladini folgte ihm. Dr. Mrozek klappte seinen Koffer auf. Demonstrativ legte er Klemmen, Klammern und Scheren auf einen großen Mullappen. Eine braune Glasflasche mit Jod stellte er auf den Sitz des Flötisten.
Jussupow lief nach kurzem Zögern auf die Bühne, drehte irgendwo an Schaltern, neue Lampen flammten auf. Der sonnige Sommertag!
Boris von Soerenberg war nahe daran, Beifall zu klatschen. Die Illusion war vollkommen.
Ohne ein weiteres Wort zog Boris seinen Rock aus, knöpfte das Hemd auf und streifte es ab. Mit nacktem Oberkörper ging er dann an Kramskoj vorbei und stieg die Bühnentreppe hinauf.
Jussupow betrachtete ihn erstaunt. Ein gut trainierter Körper mit deutlichen Muskelsträngen, kein allzu breiter Brustkorb, aber ein Bild von Zähigkeit und Kraft.
Nun zog sich auch Fürst Kramskoj umständlich aus, hängte seinen Rock auf, faltete sein Hemd zusammen und zeigte seinen bloßen Oberkörper. Er war massiver als Soerenberg, gedrungener, bulliger, von einer gewissen
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