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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schweren Säbel durch die Luft.
    »Du bist eine Ausnahme!« schrie sie. »Du kannst passieren! Aber jedem, der vom Hof kommt, schlage ich den Kopf ab. Bei Gott, ich zertrümmere jeden Menschen vom Zarenhof!«
    »Wo ist Matilda?« fragte die Jegorowna bedrückt.
    »Oben! In ihrem Zimmer. Ohnmächtig! Einen Schrei hat sie ausgestoßen, die Zeitung zerrissen, und dann ist sie umgefallen!«
    Plötzlich ließ die Bondarewa den Säbel sinken, heulte laut auf und stützte sich auf den Zwerg, als sei der eine Holzsäule.
    »Mein armes Täubchen! Mein vernichtetes Hühnchen! Daran wird sie sterben! Ihr Herz wird einfach brechen. Wären wir doch nach Odessa geflohen, oh, wären wir das doch! Ich verfluche dieses Petersburg! Ich verfluche die ganze Zarenbrut! Eine Revolution muß kommen! Eine blutige Revolution! Jagt sie ins Meer, die Zaren! Hängt sie auf!«
    Es gelang Mustin nur mit Mühe, Rosalia Antonowna davon abzuhalten, durch die Straßen zu rennen und die Revolution auszurufen.
    Die Jegorowna saß bei Matilda am Bett, kühlte ihre Stirn mit nassen Tüchern und hielt ihre heiße Hand fest. Der Arzt gab ihr ein Beruhigungspulver, sie schlief ein, aber noch im Schlaf jagte ein Zucken durch ihren Körper.
    Am 8. April 1894 schrieb der Zarewitsch in sein Tagebuch über den vergangenen Tag:
    »Wunderbarer, für mein Leben unvergeßlicher Tag! Es ist der Tag meiner Verlobung mit meiner geliebten, unvergleichlichen Alix … Wir haben uns beide einander erklärt. Herrgott, welche Last ist mir von den Schultern gefallen! Welch erfreuliche Nachricht kann ich meinen lieben Eltern bringen! Ich bin den ganzen Tag wie im Traum umhergegangen, ohne recht zu wissen, wie mir geschieht …«
    Und am Abend schrieb er an seine Mutter, die Zarin Maria Fjodorowna, geborene Prinzessin Dagmar von Dänemark:
    »Ich habe ihr Ihren Brief gegeben, und danach verzichtete sie darauf, noch zu reden … Die ganze Welt ist jetzt für mich verwandelt: die Natur, die Menschheit; alles, mit einem Wort, scheint mir gut und wert, geliebt zu werden …«
    Am gleichen Tag, dem 8. April, sagte der Arzt zu der Jegorowna:
    »Der Nervenschock ist ungeheuer groß. Ich bezweifle, ob sie jemals wieder wird tanzen können! Ob sie überhaupt wieder der Mensch wird, der sie einmal war? Ich kann es nicht sagen, aber ich sehe es in ihren Augen, ich höre es an ihrem Herzschlag: Sie will sterben! Der Wille zum Leben ist zerbrochen.« Er hob resignierend beide Arme. »Was kann ein Arzt da noch tun?«
    Die Rückkehr des Zarewitsch aus Deutschland vollzog sich ziemlich still.
    Die Zeitungen brachten eine kurze Meldung, aber der kaiserliche Hof gab sonst keine Informationen heraus; man blieb auf Mutmaßungen angewiesen. Einige wenige Eingeweihte, nach denen in aller Stille die Polizei und die Ochrana erfolglos fahndeten, berichteten von den Tagen in Hessen; Fotos der deutschen Prinzessin erschienen, aber in Rußland nahm man noch wenig Anteil an der Zukunft des Großfürsten-Thronfolgers.
    Noch lebte der Zar, dieser Bär von Mann, den nichts erschüttern konnte. Wie todkrank er war, erfuhr niemand. Es sickerte auch nichts durch, so durchlöchert sonst die Mauer war, die den Zarenhof umgab. Geheimnisse waren dazu da, um ausgeplaudert zu werden – aber die schwere Krankheit Alexanders III. blieb verborgen.
    Boris Davidowitsch ritt im Galopp zum Stroitskypalais, nachdem er mit dem Zarewitsch in St. Petersburg eingetroffen und mit einer Umarmung entlassen worden war.
    Nikolai war fröhlichster Laune, eilte sofort in das Zimmer seines Vaters und umarmte ihn. Das war eine Geste, an die sich kaum einer erinnern konnte … man hatte Vater und Sohn nie in solch freundschaftlichem und schon gar nicht in liebevollem Kontakt gesehen, seit Nikolai dem Kindesalter entwachsen war. Der Umgangston war kühl, oft schroff, befehlend, herrschend. Alexander III. tat es bewußt, – in seinen Augen war der Zarewitsch zu weich, zu verträumt, zu sehr beeinflußbar.
    Ein Zar aber hatte ein Mann zu sein, der Eisen fressen konnte! Das war von Niki nie zu verlangen, wohl aber eine gewisse Härte gegenüber allen, die nicht durch Gottes Güte die Macht über Rußland ausübten.
    Boris Davidowitsch traf im Stroitskypalais natürlich zuerst auf die Bondarewa. Sie empfing ihn mit in den Hüften gestützten Armen und einem wogenden Busen, der mehr als alles andere ihre gefährliche Empörung dokumentierte.
    »Ha! Du wagst es, noch einen Schritt in dieses Haus zu setzen?« schrie sie sofort. »Kommt aus

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