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Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts

Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts

Titel: Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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nicht lange, selig sind die, die es erleben durften. Selbst wenn sie am Ende nicht zu den Gewinnern zählen, werden sie doch zumindest für den Rest ihres Lebens viel zu erzählen haben. Im alten Europa, das sein Pulver weitgehend verschossen hat und sich gegen jede Aufregung wehrt, sind solche Turbulenzen kaum zu erwarten. Das Kreativste, was man sich hier zuletzt an Umbrüchen leistete, war vielleicht die New Economy mit abschließendem Börsencrash. Die Jungs und Mädchen, die damals sehr schnell reich wurden, ernteten jedoch nur Empörung. In einer Gesellschaft, in der Reichtümer über Jahrhunderte durch mühsames Handeln und Planen generationsübergreifend angehäuft wurden, wo protzen so verpönt ist, dass die Damen sogar ihre Pelzmäntel mit dem Fell nach innen tragen, hatte diese New-Economy-Klasse keine Überlebenschancen. Die Schlauesten unter ihnen haben sich schnell angepasst und sind ganz selbstverständlich wieder auf die gediegenere Old Economy umgestiegen.
    In Westeuropa werden die Reichen nach der Regel sozialisiert und erzogen, dass Eigentum verpflichtet und mehr Geld mehr Verantwortung bedeutet. Vor
allem aber gehen sie mit ihren Schätzen sehr vorsichtig um. Sie verstecken sie am liebsten.
    Anders in Russland. Meine Landsleute pokern gerne mit allem, was sie haben. Die Spielregeln werden öfter gebrochen, die Karten häufiger neu gemischt, manchmal wird sogar am Pokertisch ein bisschen geschossen. Der letzte gesellschaftliche Umbruch, der in Russland unter dem Namen »Perestroika« stattfand und Deutschland als sogenannte »Wendezeit« erreichte, spülte viele frischgebackene Global Player an die Oberfläche. Sie wurden von ihren westlichen »Kollegen« mit Misstrauen und Kopfschütteln aufgenommen. Diese komischen russischen Oligarchen sind für die Europäer schwer zu begreifen. Chodorkowski, der im Gefängnis sitzt, halten sie für einen politischen Gefangenen, Beresowski für einen Dissidenten. Am meisten Schlagzeilen machte der junge, sportliche Abramowitsch, der auf allen Fotos so dumm aus der Wäsche guckt, als wüsste er selbst nicht, in welcher Branche er eigentlich tätig ist.
    Die russischen Oligarchen handeln oft völlig unwirtschaftlich: Statt ihr Geld zu vermehren oder langfristigen Investitionen nachzujagen, verschwenden sie ihr Kapital für Spielzeug. Der eine kauft Fußballmannschaften in fremden Ländern, der andere kauft auf der ganzen Welt Fabergé-Eier, egal, ob Fälschungen
oder Originale, er saugt alle ein. Wieder ein anderer, der LUKOIL-Chef Alekperow, ließ sich für zig Millionen Dollar ein Mausoleum in Form des Tadsch Mahal errichten, seine Grabbüste darin soll angeblich zwanzigtausend Jahre überdauern können.
    Während über die Oligarchen des Westens in der Regel nur im Falle einer Firmenübernahme oder eines missglückten Deals berichtet wird, liefern ihre russischen Kollegen permanent skurrile Schlagzeilen: »Abramowitsch besucht Hongkong, um einen möglichen Anlegepunkt für seine Jacht auszukundschaften«, stand neulich als Überschrift in einer russischen Zeitung. Keiner dieser Männer kommt aus einer reichen Familie, niemand von ihnen hat eine Business-Ausbildung abgeschlossen. Die meisten sehen aus, als hätten sie mit der Pfanne eins übergebraten bekommen. Was ist nur mit ihnen passiert? Nichts Besonderes. Sie sind einfach in den Umbruchszeiten über einen Geldkoffer gestolpert.
    Damals, in den späten Achtzigerjahren, gab es keine fertigen Rezepte, wie man reibungslos vom Sozialismus zu einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung kommen könnte. Es war völliges Neuland. Durch die vielen Geldreformen und die Privatisierung des staatlichen Eigentums wurde das ganze Land zur Umverteilung freigegeben. Und nicht alle sind dadurch
ärmer geworden. In meiner Generation hatte bestimmt jeder mindestens einen Schulkameraden, der in den Neunzigerjahren Millionär wurde. In unserer Schulklasse war das ein unauffälliger Junge, der in den humanistischen Fächern mittelmäßig abschnitt, dafür aber gut in Mathematik war. Seine Eltern waren Ingenieure, seine Oma wohnte ein Stockwerk über uns. Zu ihr ging er jeden Tag nach dem Unterricht zum Mittagessen. In der Klasse wurde er oft gehänselt, ein kleiner Blonder mit Brille und dem Spitznamen »Student«.
    Als einer der Ersten fing der Student an, 1991 nach China zu fliegen und Computer von dort nach Moskau zu schaffen. Während die meisten seiner Zeitgenossen wie betäubt vor der Glotze saßen und die »spannenden

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