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Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts

Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts

Titel: Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Kasinos. Deswegen blieben die meisten Spieler ruhig auf ihren Stühlen sitzen, wenn die Miliz anrückte – spätestens nach zwei Stunden ließ man sie mangels Beweisen wieder laufen. Nur einige wenige, die sich aus anderen Gründen eine Begegnung mit den Ordnungskräften nicht leisten konnten, sprangen aus dem Fenster in den Hinterhof und liefen davon. Schon damals gehörte Alexander Iwanowitsch zu der Sorte von Spielern, die aus dem Fenster sprangen.
    In den frühen Achtzigerjahren gab es bereits jede Menge reiche Leute in den russischen Großstädten, und jedes Jahr wurden es mehr. Die ersten erfolgreichen Geschäftsmänner, die halb im Untergrund und halb offiziell agierten, in einem unmöglichen Spagat zwischen den korrupten Machtinhabern und dem gesetzlosen wirtschaftlichen Umfeld, trugen ihr Geld meistens in zwei Sporttaschen mit sich herum: eine für Einnahmen und eine für Ausgaben. Sie kauften Goldschmuck auf Kilogrammbasis und versuchten auch sonst, das Geld auf jede erdenkliche Weise loszuwerden. Der Pokertisch im katran meiner Frau war dafür genau der richtige Ort. Das Hauptproblem des
Kasinos war, dass dort jeden Tag die gleichen Leute am Tisch saßen. Sie hatten alle schon tausendmal miteinander gespielt, kannten alle Tricks des Gegners und schuldeten einander Millionen. Nur bei einem frischen, unverbrauchten Hobbyspieler konnten sie ihre Qualitäten noch entfalten.
    Einer von diesen Hobbyspielern war Alexander Iwanowitsch, ein Frauenschwarm, geselliger Mensch und begnadeter Geschäftsmann, der alles zu Geld machen konnte und dafür in der russischen Businesswelt geschätzt wurde. Er hatte nur ein Problem. Der liebe Gott hatte ihn zum Ausgleich für seine Nehmerqualitäten mit Spielsucht geschlagen. Seinen Reichtum verlor er regelmäßig wieder am Pokertisch. Manchmal ließ er dort auch den Reichtum seiner Freunde und Geschäftspartner, die seine Spielsucht daher nicht sonderlich schätzten. Mehrmals versuchten sie, Alexander Iwanowitsch das Licht auszuknipsen. Später aber akzeptierten sie sein Hobby, weil er seine Schulden immer wieder zurückzahlte. Nach jeder Niederlage im Kasino bekam er einen neuen Energieschub, kam auf die unglaublichsten Geschäftsideen, stand wie ein Phönix aus der Asche wieder auf, verdiente dabei Millionen und zahlte seinen Gläubigern zumindest teilweise ihr Geld zurück. Den Rest verspielte er aufs Neue.

    In den Neunzigerjahren, als der Sozialismus endgültig auseinanderbrach, ging Alexander Iwanowitsch ins Ausland. Er verkaufte russisches Metall nach Deutschland, türkische Mehlmühlen in die Ukraine, verschob Hunderte von Gebrauchtwagen aus Frankreich nach Polen und verkaufte Tausende alte Spielautomaten aus Las Vegas, die dort ihre Zulassung wegen zu niedriger Gewinnchancen verloren hatten, nach Sankt Petersburg. Damit wurden dort mehrere Kasinos ausgestattet, in denen Alexander Iwanowitsch dann seinen Gewinn wieder verspielte. Seine Geschäftskollegen wurden in den Neunzigerjahren zu Neureichen. Sie kauften sich große Häuser auf Zypern, bauten sich Villen in Nizza, hatten Bodyguards und fuhren mit einer Eskorte durch die Stadt. Alexander Iwanowitsch blieb bei seinen drei Anzügen und dem BMW.
    Als er Mitte der Neunzigerjahre bei uns aufkreuzte, war er auf der Flucht. Nach einem Metall-Deal in Bad Vilbel hätte er die russischen Lieferanten auszahlen sollen, stattdessen hatte er ein Frankfurter Kasino besucht. Die hunderttausend Mark in seiner Plastiktüte waren danach alles, was von dem Deal übrig geblieben war. Nun wollte er bei uns in Berlin für ein paar Tage untertauchen. Ich hielt das für keine gute Idee, konnte aber unter den gegebenen Umständen
nicht Nein sagen. Alexander Iwanowitsch hatte außerdem bereits einen schlichten Plan, wie er in kürzester Zeit die verspielte Summe wiederbeschaffen konnte. Und wir sollten ihm dabei helfen.
    Abends gingen wir alle drei ins Kasino. Mich stellte Alexander Iwanowitsch an einen Roulettetisch. Er gab mir zehntausend Mark mit der Anweisung, bei jeder Runde allein auf die Dreiundzwanzig zu setzen. Meine Frau musste am Nebentisch dasselbe tun. Zwei Stunden lang setzte ich wie ein Blöder auf die Dreiundzwanzig. Die Zahl gewann kein einziges Mal. An den anderen Tischen lief es nicht viel besser. Dafür traf ich in diesen zwei Stunden unerwartet viele Bekannte im Kasino, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie ihre Freizeit an Spieltischen vergeuden würden.
    Nachts träumte ich schlecht. Ich sah seltsame

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