Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
Danglard.
»Ich weiß es nicht. Es gibt mindestens drei Sachen, die mich irritieren, der Geruch nach faulem Apfel, der brave Doktor Gérard Pontieux und diese Modezeitschrift.«
Kurz darauf rief Adamsberg Danglard erneut zu sich. Er hielt ein kleines Blatt Papier in der Hand.
»Hier sind Zugverbindungen«, sagte Adamsberg. »Es gibt einen Zug, der in fünfundfünfzig Minuten nach Marcilly fährt, das ist der Geburtsort des braven Doktor Pontieux.«
»Was stört Sie nur an dem Doktor?«
»Mich stört, daß er ein Mann ist.«
»Immer noch?«
»Ich habe es Ihnen schon gesagt, Danglard, ich bin langsam. Glauben Sie, Sie können den Zug schaffen?«
»Heute?«
»Bitte. Ich möchte alles über den braven Doktor wissen. Sie finden dort Leute, die ihn als jungen Mann gekannt haben, bevor er nach Paris gegangen ist, um hier seine Praxis aufzumachen. Befragen Sie sie. Ich will wissen. Alles wissen. Irgend etwas ist uns entgangen.«
»Aber wie soll ich die Leute befragen, ohne die geringste Vorstellung zu haben, wonach Sie suchen?«
Adamsberg wiegte den Kopf.
»Fahren Sie, und stellen Sie alle möglichen Fragen. Ich vertraue Ihnen. Und vergessen Sie nicht, mich anzurufen.«
Adamsberg nickte Danglard zu, und mit völlig abwesendem Ausdruck ging er hinaus, um sich irgend etwas zu essen zu holen. Auf dem Weg zur Bibliothèque Nationale verschlang er sein kaltes Mittagessen.
Am Eingang zur Bibliothek machten seine alte schwarze Stoffhose und sein bis zu den Ellbogen hochgeschobenes Hemd keinen guten Eindruck. Er zeigte seinen Ausweis und sagte, er wolle das Gesamtwerk von Augustin-Louis Le Nermord einsehen.
***
Danglard kam um 18 Uhr 10 in Marcilly am Bahnhof an. Es war die Stunde des Weißweins in den Bistrots. In Marcilly gab es sechs Cafés, er suchte sie alle auf und begegnete einer ganzen Reihe von Alten, die über Gérard Pontieux etwas sagen konnten. Aber was sie erzählten, war für Danglard von keinerlei Interesse. Angesichts der Tatsache, daß sich kein sichtbarer Makel fand, langweilte es ihn, das Leben des jungen Gérard durchkauen zu müssen. Danglard hätte es klüger gefunden, über dessen Laufbahn als Arzt Nachforschungen anzustellen. Man weiß ja nie, eine Sterbehilfe, eine falsche Diagnose... Es können haufenweise Sachen passieren. Aber darum hatte ihn Adamsberg nicht gebeten. Der Kommissar hatte ihn hier in diesen Ort geschickt, wo niemand darüber Bescheid wußte, was Pontieux nach seinem vierundzwanzigsten Lebensjahr gemacht hatte.
Gegen 10 Uhr abends zog er allein durch Marcilly, abgefüllt mit hiesigem Wein und ohne irgend etwas erfahren zu haben. Mit leeren Händen wollte er nicht nach Paris zurückkehren. Er wollte es weiter versuchen, war aber nicht gerade begeistert, die Nacht hier verbringen zu müssen. Er rief die Kleinen an, um ihnen einen Gutenachtkuß zu geben. Dann ging er zu der Adresse, die der letzte Wirt ihm genannt hatte, um dort nach einem Fremdenzimmer zu fragen. Die Vermieterin war eine alte Dame, die ihm ein weiteres Glas Wein anbot. Danglard hatte das Bedürfnis, ihrem alten und sehr lebhaftem Blick seinen ganzen Ärger anzuvertrauen.
***
Ohne irgend jemandem etwas davon zu sagen, hatte Mathilde sich die ganze Woche schrecklich aufgeregt. Zunächst hatte es ihr nicht gefallen, Charles gegen halb zwei morgens nach Hause kommen zu hören und am Morgen von einem weiteren Mord an einer Frau zu erfahren. Und um alles noch schlimmer zu machen, hatte Charles den ganzen nächsten Abend hämisch gelacht, wie ein richtiger Giftzwerg. Verärgert hatte sie ihn hinausgeworfen und ihm gesagt, er solle wiederkommen, wenn er sich beruhigt hätte. Das machte ihr Sorgen, unsinnig, es leugnen zu wollen. Clémence wiederum war mitten in derselben Nacht in Tränen aufgelöst nach Hause gekommen. Mathilde hatte eine unrühmliche Stunde mit dem Versuch verbracht, das wieder hinzukriegen. Dann hatte Clémence, mit ihren Nerven am Ende, schließlich eingeräumt, daß sie ein bißchen Luftveränderung brauche und eine Pause bei ihren Kontaktanzeigen einlegen wolle. Sie waren zu aufreibend, die Annoncen. Mathilde hatte ihr sofort zugestimmt und sie in den Stichling hinaufgeschickt, damit sie ihren Koffer packen und sich ausruhen konnte, bevor sie aufbrach. Mathilde machte sich Vorwürfe, weil sie am Morgen, als Clémence aufbrach und in dem Bemühen, sie nicht zu wecken, vorsichtig das Treppenhaus hinunterschlich, gedacht hatte: Ich bin sie für vier Tage los. Clémence hatte
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