Es geht uns gut: Roman
schlägt zu. Als der Wagen abfährt, sagt Alma ohne Zorn und Vorwurf:
– Ingrid. Ingrid.
Ingrid beginnt das schmutzige Geschirr wegzuräumen.
– Ich glaube, ich bekomme meine Tage.
Und Alma, abermals ruhig, so, als bringe sie für Ingrids Menses ein gewisses Interesse auf:
– Ich sollte einmal anfangen, deinen Zyklus mitzuschreiben, wäre neugierig, was dabei herauskommt.
– Hack du nur auch auf mir herum.
– Ich hack nicht auf dir herum. Mich beschäftigt, wie es dir geht. Aber du mußt auch ein Minimum an Verständnis für deine Eltern aufbringen.
Ingrid stellt das Geschirr in die Abwasch, dabei verspricht sie dem lieben Gott, daß sie sich bessern wird, wenn sie nur bald ihre Tage bekommt, dann will sie auch wieder einmal beichten gehen, ich habe die Gebete oft nicht, ich habe geflucht und gelästert, ich habe mein Gott gemachtes Gelübde, ich war gegen meine Eltern lieblos, ungehorsam, eigensinnig, frech, ich habe ihnen den Tod, ich war unkeusch in Gedanken, Blicken und, allein und mit, ich hab gelogen, geheuchelt, fremde Fehler verbreitet und fremde Fehler vergrößert, ich war stolz, schadenfroh, unmäßig im Reden, zornig und nachlässig. Am meisten habe ich mit der Sünde der Unkeuschheit.
Zu ihrer Mutter sagt sie:
– Ich habe für euch genausoviel Verständnis wie ihr für mich. Also sind wir quitt.
Eine halbe Stunde später verabschiedet sie sich Richtung Universität. Doch statt mit dem Fahrrad zur Hietzinger Brücke und von dort mit der Stadtbahn zu fahren, schlägt sie den Weg via Lainz und die Fasangartengasse nach Meidling ein. Als das schlechte Mädchen, das sie ist, braucht sie auf niemanden Rücksicht zu nehmen, und je weiter sie sich von ihrem Elternhaus entfernt und je mehr sie sich Peters Magazin nähert, desto spürbarer fallen Demütigung und Traurigkeit von ihr ab, desto freundlicher wird dieser wolkenverhangene Tag, werden die Straßen, die Postautos, die von Blütenstaub gelben Rinnsteine, die gekämmten und rotgewaschenen Leute. Die Schaufenster, die Häuser. Alles kommt ihr so unbeschwert vor, selbst die Pfiffe, die ihr das rasante Fahren einbringt. Ich fahr so schnell, wie’s mir paßt. Die Häuserzeilen fliegen an ihr vorbei. Da und dort, wo ein Haus nicht wieder aufgebaut wurde, riecht es noch nach den Schrecken der Zeit. Ansonsten ist es, als existiere hier die freie Welt bereits, als sei die Stadt hier aus der Vergangenheit bereits entlassen. Besser: als sei die Vergangenheit hierorts schon ausgespuckt.
Sie hört noch ihr ehemaliges Handarbeitsfräulein sagen:
– Unsere Vergangenheit ist zu groß, um von einem so kleinen Land bewältigt zu werden. Es ist, wie wenn man einen zu großen Bissen nimmt, dann kann man nicht mehr schlucken.
Sie biegt in den Schotterweg ein, der zu Peters Magazin führt, dem Sitz seiner kleinen Firma Fröhliches Wohnzimmer (warum auch nicht?). Peter hat sich in einer ehemaligen Zweirad-Werkstatt eingemietet, zwischen anderen wenig benutzten Garagen, die auf einen jenseits der Straße fließenden Bach und auf die Wiesen dahinter ausgerichtet sind. An der Torkette und dem Vorhängeschloß erkennt Ingrid schon von weitem, daß Peter noch nicht hier ist. Sie fährt am Magazin vorbei, in einer Mischung aus Enttäuschung und der gleichzeitigen Erleichterung darüber, zumindest selbst eingetroffen zu sein. Sie rollt hundert Meter weiter zu einem Wirtshaus, einer Apachenspelunke, wie ihr Vater es nennen würde, die Fenster seit Monaten nicht geputzt, Parolen an den Wänden noch aus den letzten Kriegstagen, Ein Hoch auf das siegreiche Land der Wunder! Nadeschda umerajet poslednoj . Das Fahrrad scheppert in den verrosteten Ständer. Durch den Windfang, Tür. Im Schankraum brütet ein Mann mit nur einem Arm allein am Stammtisch. An einem zweiten Tisch schaukelt ein Schlurf auf dem Stuhl, mit aufgekrempelten Ärmeln. Er addiert Zahlen auf einem Rechnungsblock. Auch der Schlurf bedenkt Ingrid mit einem Pfiff.
– Pfeifen bringt Regen.
– Wohl heute mit dem linken Bein zuerst aufgestanden.
Ingrid kehrt dem Kerl den Rücken, ohne ein weiteres Wort, die Arme verschränkt. Sie stellt sich an den noch vom Vortag dreckigen Tresen mit Blick auf die Nußschnitten in der Auslage, als hätte sie schon lange keine mehr bekommen. Durch die offenstehende Küchentür ist das blubbernde Kochen des Mittagessens zu hören, vom Hinterhof das Stapeln von Getränkekästen, dazu angestrengtes Stöhnen der Wirtin. Ingrid kennt die Frau, seit sie Peter kennt.
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