Es geht uns gut: Roman
Beweis erscheint, zu welchen Unüberlegtheiten seine Tochter fähig ist. Präziser: daß sie in ihrer Vernarrtheit so weit überschnappt , daß sie mit Peter ins Bett geht. Etwas, was natürlich längst geschehen ist, für ihren Vater bislang aber nicht im Bereich des Vorstellbaren lag. Für ihn ist das sechste Gebot das erste Gebot. Es gibt nichts anderes, was eine ähnlich starke Bedrohung seiner Wertvorstellungen darstellt und eine ähnliche Beleidigung seines sozialen Ordnungssinns. Baum, Schlange, Apfel, Höllenhund, ewiges Feuer der Verdammnis und Garen bei lebendigem Leib. Lauter Synonyme für Liebe. Wenn ihr Vater wüßte, daß sie längst eine Frau ist, würde er sie vermutlich einsperren. Die Hühner sollen gefälligst im Stall bleiben.
– Ich will nur hoffen, daß die Vernunft bald wieder die Oberhand gewinnt.
Sie sitzen zu dritt beim Frühstück, Richard in einem seiner offiziellen Anzüge, er trinkt den Kaffee, indem er jeden Schluck mit einer ruckartigen Kopfbewegung nach hinten wirft. Als ihm Alma eine Semmel anbietet, lehnt er mit Rücksicht auf seinen Zahn ab. Reden hingegen scheint seine Schmerzen zu lindern; kann auch sein, es ist das Gesagte, was die Linderung herbeiführt, während die Schmerztabletten, die er im Bad eingeworfen hat, noch eine Viertelstunde brauchen, bis sie wirken.
– Denn eins will ich nicht unerwähnt lassen: Ich verhandle nicht jahrelang mit den Sowjets, damit meine Tochter in der Zwischenzeit den Verstand verliert. Siebzehn Jahre lang haben jetzt andere über uns bestimmt. Siebzehn Jahre nichts als Wortbruch, Lügen und Enttäuschungen. Ein halbes Leben lang habe ich eine katastrophale Störung um die andere über mich ergehen lassen. Und jetzt, wo sich die Verhältnisse ein wenig klären und man endlich wieder Herr im eigenen Haus wird, lasse ich mir den Unfrieden nicht von der eigenen Tochter hereintragen.
Er führt die Kaffeetasse zum Mund und nimmt mit bitterer Grimasse einen weiteren Schluck.
– Haben wir uns verstanden?
Nein.
Wenn Ingrid es sich überlegt, hält sie es für wahrscheinlich, daß auch Außenminister Figl Zahnweh hat und deshalb mehr trinkt, als ihm guttut. Überhaupt geht ihr die Großmannssucht ihres Vaters und der ganzen Komitatschibande, die mit den Verhandlungen betraut ist, auf den Wecker. Die mit ihrer Trinkfestigkeit. Als ob das etwas mit dem Staatsvertrag zu tun hätte. Als ob man die Russen mit Trinken beeindrucken könnte. Das weiß sie nun ganz bestimmt, den Russen fällt es gar nicht auf, wenn einer etwas verträgt, das sind sie gewohnt. Und schon gar nicht gewähren sie als Anerkennung für versiertes Trinken einen Staatsvertrag. Wenn das so einfach wäre, würden die Ungarn weniger Fußball spielen und statt dessen das Saufen üben. Wahrscheinlicher ist, daß vor fünf Jahren im Zentralkomitee des Obersten Sowjets, noch unter Stalin, beschlossen wurde, Österreich im Mai 1955 einen Staatsvertrag zu geben, und so wird’s gemacht, streng nach Plan, unabhängig vom Wodkawetter. Trotzdem lassen sich die Herrschaften in der Bundesregierung für ihre Ausdauer und ihr Verhandlungsgeschick feiern, fehlt nur, daß es in der Zeitung heißt, der Staatsvertrag wäre schon früher zustande gekommen, wenn man während der ersten Jahre besser genährt gewesen wäre. Die Erbsenlieferungen der Sowjets werden regelrecht zu einem nationalen Woyzeck-Schicksal umgedeutet. Echt kurios. Hat er schon seine Erbsen gegessen? Er ist ein interessanter Kasus, Subjekt Österreicher. Und die salbungsvollen Reden, die demnächst wieder am Mittagstisch einstudiert werden, ziehen ihr schon im voraus den Nerv. Wenn aber ihr Vater wissen will, was wahrhaft harte Positionen sind, dann soll er, sowie er mit den Moskauer Unterhändlern zu einer Einigung gelangt ist, vom Gebäude des Aliierten Rates schnurstracks nach Hause kommen und versuchen, in die Tat umzusetzen, womit er gerade droht: Daß er den Kontakt zwischen ihr und Peter unterbinden wird. Nur zu, das wollen wir mal sehen, dann wird sich zeigen, wofür die Erfahrungen, die er beim homo sovieticus gesammelt hat, zu gebrauchen sind, da wird er nämlich gegen eine Wand laufen, weil er nicht mit dieser wunderbaren Liebe rechnet. Dann schaltet Ingrid ebenfalls auf stur, ihr geht nichts ab, es kann ruhig bleiben, wie es ist, nach dem Motto, magst du mich nicht, mag ich dich nicht. Sie holt es sich woanders. Sollte ihr Vater aber an der Beziehung zu seiner Tochter interessiert sein und ihr zuliebe auf seine
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