Es geht uns gut: Roman
sind. Ingrid beobachtet eine Weile die jähen Richtungswechsel der Vögel, das Gleiten und wieder Beschleunigen mit schnellen Flügelschnitten, ein Anblick, der Ingrid bewußtmacht, daß jetzt, wo die Tage wärmer werden, für das Magazin die schönste Zeit beginnt. Sommers staut sich darin eine Hitze zum Ersticken, im Winter friert man, weil es unmöglich ist, den Raum vernünftig zu beheizen, da ist es meist auch um Peters Gesundheit schlecht bestellt.
Im vergangenen Jahr, Ende November, zog sich Peters Verkaufsfahrt in die Länge. Er arbeitete sich bis in die hintersten Wintersportorte vor, um Bestellungen einzubringen. Er hängte mehrfach den einen und anderen Tag an, bis es allerhöchste Zeit war, nach Wien zurückzukehren. Aber in Wien fror es Stein und Bein. Obwohl Peter sich den Atemwärmer, den Ingrid aus Wollresten gestrickt hatte, vor Mund und Nase spannte, holte er sich beim Arbeiten im Magazin eine schwere Verkühlung, die sich erbarmungslos ins Geschäft fraß. Peter lag eine Woche mit Fieber im Bett, eine weitere Woche war er nahezu taub. Ingrid kann es noch vor sich sehen, wie er versuchte, ihr die Worte vom Mund abzulesen. Kein Arzt konnte ihm helfen, alle sagten, da müsse man warten, bis der Schnupfen vorbei ist. Und sie (Ingrid), die mit Problemen an der Universität und zu Hause ausgelastet war, ließ sich in das Desaster hineinziehen, pendelte zwischen Hysterie und Verzweiflung, weil sie einerseits Mühe hatte, Peter vom Magazin fernzuhalten, ihm andererseits nicht einmal die Hälfte der liegengebliebenen Arbeit abnehmen konnte. Zwei Wochen hetzte sie herum, war mit den Nerven runter, und alles ohne nennenswerten Erfolg. Als Peter am zweiten Adventsonntag in der Früh das Ticken der Weckuhr hörte, war das Weihnachtsgeschäft für ihn gelaufen. Wieder eine Chance zum Geldverdienen dahin. Anfang des Jahres füllte er das Lager trotzig bis unter die Decke, um künftig für solche Eventualitäten gewappnet zu sein. Aber auch diese Vorsorge wird, wie es aussieht, torpediert vom drohenden Zustandekommen des Staatsvertrags (Peters Ausdruck). Sowie die Unterschriften geleistet sind, wird Peter die Spielpläne, auf denen die Zonengrenzen eingezeichnet sind, austauschen müssen. Wenn ihr Vater davon Kenntnis bekäme (nimmt Ingrid an), würde das seinen ohnehin fast heiligen Verhandlungseifer nochmals verdoppeln.
Sie wirft ein paar Steine in den Bach, ein wenig traurig über die neuerlich bevorstehende Vergeudung von Peters Kräften. Das Geräusch der Mischmaschine wird von einem Moped übertönt, das sich über den geschotterten Weg müht. Zu Ingrids Erleichterung biegt das Moped noch vor den Garagen schnatternd zwischen einige Wohnhäuser und verliert sich dort mit seinem Lärm.
Inzwischen hat Peter den Tisch und die Munitionskisten an ihre alten Plätze gerückt und den Morris ächzend in die Werkstatt geschoben. Er klappt das linke Garagentor mit einem Quietschen der Scharniere auf und hebelt die vertikal verlaufende Stange in den Metallring am Boden. Er hält einen Moment inne, um die Baustelle über dem Feld zu betrachten. Ein Mann, eine Frau und zwei Kinder stehen vor einem Rohbau. Der Mann und die Kinder mit den Händen am Rücken, herausgeputzt in Sonntagssachen, geschniegelt, mit Zöpfen, mit Scheiteln wie zu Fronleichnam.
Ingrid schaut Peters Blick hinterher. Die Kinder lassen sie an ihren Bauch denken. Einen Augenblick später hat sie den lustigen Einfall, daß sie all das tut, damit ihre Kinder einmal eine schöne Vergangenheit haben werden. Die Idee gefällt ihr, sie überlegt, ob sie Peter davon erzählen soll. Aber der würde sich am Ende noch was drauf einbilden. Sie nimmt ihre Strickjacke und das von einigen Regentropfen angepatzte Anatomie-Buch vom Mäuerchen und geht nach drinnen. Peter schließt hinter ihr das zweite Tor. Jetzt dringt Licht nur mehr durch die Glassteine am Dach, in Kegeln, die eine ruhige, gedämpfte Helligkeit verbreiten. Gemeinsam entfernen Ingrid und Peter alles Geschäftliche aus dem Fond des Morris. Peter fegt die Holzrippen der Ladefläche mit einem Besen aus, und Ingrid pumpt mit einem Fußbalg beide Luftmatratzen auf. Sie denkt, ein schönes Ehebett wäre ein Lichtblick, das Herumschustern auf Luftmatratzen verliert mit der Zeit gehörig von seinem Reiz. Wenn Peter sie an sich zieht wie in der Pension an der Straße zwischen Wiener Neustadt und dem Semmering, diese Nacht ist ihr unvergeßlich. Wie Peter über ihr war und sie sich ganz in ihm vergraben
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