Es geht uns gut: Roman
Die Dielen knarren. Auf einer Schulbank beim südlichen Giebelfenster wackelt bedrohlich eine geklebte Blumenvase. Sogar ein Tintenfaß steht dort, als werde jeden Moment jemand kommen, sich niedersetzen und aus der Luft die dadaistischen Gedichte abschreiben, zu denen sich der Staub zur Erheiterung der Hausgeister gruppiert.
Draußen der feuchte Garten, die Mauer, schräg abseits die Nachbarhäuser hinter einem Saum grüngelber, herbstlich raschelnder Baumwipfel. Zwischen den Giebeln schlaffe Telefondrähte, die von den verlorenen Substanzen der stets hohl eintreffenden Stimmen längst verstopft sein müßten wie sklerotische Arterien.
– Aber Figl ist nicht gesund, bedauerlicherweise. Sein Zustand weckt mehr Befürchtungen als Hoffnungen.
Peter zieht leicht die Brauen hoch, die Geste kann einem Gegenstand gelten, den er sieht, sie kann Zufall sein und keinerlei Verständigung mit was auch immer suchen. Dem Befinden des ehemaligen Kanzlers fragt Peter nicht nach.
– Ich glaube, sagt Richard, für seine Gesundheit hat der rasante Schlußteil der Rutschbahn bereits begonnen. Auch der Beginn war rasant. Sechs Jahre Dachau, das mag man spüren.
Eine Reaktion bleibt neuerlich aus, auch nicht blickweise das Signal, daß Peter von den Ausführungen Notiz nimmt. Offenbar soll das Gespräch versanden, noch ehe es begonnen hat. Richard indes, mit der festen Absicht, in Gegenwart seines Schwiegersohnes auf das zu vertrauen, was er im Umgang mit politischen Gegnern gelernt hat, holt zu einem längeren Monolog aus.
Er referiert die Biographie des ersten gewählten Nachkriegskanzlers und jetzigen niederösterreichischen Landeshauptmannes. Er erwähnt verschiedene Schmankerln der bevorstehenden Rede, zum Beispiel, daß Figl und seine Weggefährten, zu denen Richard sich seit der Wäscheaktion von 1938 zählen dürfe, für dieses Land die Sterne vom Himmel geholt hätten, speziell die fünfzackigen roten. Männer wie Leopold würden immer seltener, eine aussterbende Spezies und klug, keine Bildung als Firnis, sondern klug aus Erfahrung. Nur nicht die Pferde scheu machen , habe Figl während der Verhandlungen mit den sowjetischen Emissären wiederholt gemahnt. Ohne Figls Verhandlungsgeschick, so Richard, wäre heute nicht nur dessen eigener Hof Teil eines niederösterreichischen Kombinats.
Er zwinkert, obwohl er sich außerhalb von Peters Blick befindet. Der hält gerade die Signallampe eines Eisenbahners hoch.
– Von den Russen zurückgelassen, die hier für einige Zeit einquartiert waren, sagt Richard.
Dann fährt er unverdrossen fort, schwenkt ganz auf seine Rede ein, die, wie er eigens ankündigt, darin gipfeln werde, daß dem Jubilar noch viele Jahre zu wünschen seien, in denen er sich in höchsteigener Person für die von ihm geleistete Arbeit verantworten dürfe. Allen Nachfolgern Figls lege er indes ans Herz, nicht zu vergessen, daß sich mancher nicht verantworten dürfe, sondern verantworten müsse.
Während Richard so redet und während er mehr an sich selbst als an die hervorragende Persönlichkeit seines Parteikollegen denkt, räumt Peter im trüben Licht der schmutzigen Scheiben einen Bauernschrank aus. Stäubchen kreisen um seinen Kopf. Von Zeit zu Zeit knipst er von einem der beschrifteten Kartons, die er heraushebt, einen Mäusekötel weg, der in den Staub des Fußbodens kullert. Peter legt einen Koffer frei. Aber der enthält lediglich ein altes Federbett; sinnloserweise. Nur mit äußerster Mühe ist der Deckel wieder zuzuzwängen. Die Schlösser schnappen träge über den schorfigen Bügeln ein.
Von unten sind die sachlichen Stimmen der Frauen zu hören. Worüber die bloß reden?
– Um bei Leopold Figls Beispiel zu bleiben. Er hat versucht Österreich so zu gestalten, wie er es sich in den Baracken von Dachau ausgemalt hat. Ich finde, das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Von Peter weiterhin nur ein Keuchen der Anstrengung, wo er sich einen Weg durch den ausgemusterten Hausrat bahnt. Er begutachtet die alte Weihnachtskrippe und Ottos Tretauto, an dem ein Hinterrad gebrochen ist. Er hebt ein Buch von den Bodenbrettern auf, er tritt zum Fenster und liest in das Buch hinein. Vielleicht wäre jetzt das Gurgeln und Schlürfen zu hören, das die Spinne erzeugt, wenn sie das Flüssige aus einem Fliegenkadaver saugt. Vielleicht liefern sich die Sonnenstäubchen in der Luft tausend kleine Schlagabtausche und erzeugen statt Erinnerungsromantik eine Atmosphäre nervöser Feindseligkeit: Jawohl, es
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