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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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auf eigenen Beinen steht – weil (wenigstens) die väterliche Hand mit dem darin befindlichen Geld sich nie von ihr zurückgezogen hat. Auf der Basis von Verliebtheit ist halt doch keine Existenz zu gründen. Bei dem wenigen, das Peter beim Kuratorium für Verkehrssicherheit verdient, wäre weder das Nest, das Ingrid sich gerade polstert noch die Fortsetzung des Studiums denkbar. Richard zieht die ganze Familie mit durch. Die einzige Ausübung von Autorität, die ihm kritiklos zugestanden wird, besteht darin, diesen drei Pfleglingen unter die Arme zu greifen.
    Seufzend bekennt Ingrid:
    – Ich habe die Lernliste wegen der Aufregung rund um den Hauskauf wieder umschreiben müssen. Ich hoffe stark, daß es auch mit Sissi leichter wird, sowie wir fix eingezogen sind.
    Alma, als würde es sie nicht im geringsten berühren, ob Ingrid ihrem Vater das Schauspiel einer ewigen Studentin liefert oder ihr Studium – im Gegensatz zu ihrem Gatten – doch noch fertigbringt, läßt wissen:
    – Es freut mich, wenn Ottos Möbel in guten Händen sind.
    Genau das bezweifelt Richard.
    Ingrid und Peter nehmen nur, was nicht beständig ist, Verlegenheitsmöbel, Reserveschränke, alles, was nicht sonderlich anstrengt, was zurückbleibt oder schon immer zurückgeblieben war, alles das, was keiner besonderen Aufmerksamkeit bedarf, keiner Verbundenheit (durch Leim und Krampen). Keines Respekts. Möbel als Sinnbilder für Gleichgültigkeit, zum leichtsinnigen Abwohnen, denkt Richard. Und er lehnt diese Haltung – denn es ist eine Haltung – innerlich ab, weil er nicht glaubt, daß man unter solchen Voraussetzungen je Wurzeln schlagen kann.
    Nachdem auch das Bett und der Schrank aus ihrem eigenen früheren Zimmer zum Abtransport bestimmt worden sind, sagt Ingrid:
    – Was wir nicht in den Bus bringen, holen wir nächsten Samstag, wenn Peter für Mama das Wohnzimmermobiliar zerlegt.
    Sie läßt ihren Blick einen Moment auf ihrem Mann ruhen. Richard fallen die trägen Bewegungen ihrer Lider auf.
    – O.K. sagt Peter.
    – O.K. sagt auch Ingrid.
    Dann stockt das Gespräch erneut. Vier Leute, vier ungebetene Gäste im eigenen Haus. Dazu ein Kind, das nichts weiß und wissen wird und das für Gesprächsstoff sorgt, als sich inmitten des Schweigens herausstellt, daß es sich eingemacht hat.
    – Stinkst du etwa?
    – Ja, ich glaub, sie stinkt.
    – Habt ihr Windeln dabei?
    – Im Wagen. Sie kackt ja wie nach der Uhr.
    – Wir Frauen gehen nach unten.
    – Papa, könntest du inzwischen im Dachboden nach meiner Puppenküche forschen. Du weißt, meine Spinnenphobie. Peter soll dir helfen.
    Bereits auf dem Weg nach unten, ruft Ingrid:
    – Vermutlich ist sie in meinem alten Reisekoffer, dem schwarzweiß karierten.
    Richard ist nicht sehr erbaut über diesen Auftrag, zumal sein Schwiegersohn in etwa der letzte Mensch auf der Welt ist, mit dem er allein in den Dachboden steigen will. Er fragt sich, was seine Frau Tochter mit ihrem Grips sich dabei denkt, sie beide zusammenzuspannen. Nach allem Vorgefallenen kann eine Freundschaft zwischen ihnen wirklich von niemandem mehr erwartet werden. Aber was bleibt ihm übrig? Widerstrebend ersteigt er den sich in den Schatten hinaufwindenden Stich von zweimal zwölf Treppen. Vor der Dachbodentür bleibt er stehen, er dreht sich um und vergewissert sich, daß ihm sein Schwiegersohn folgt. Als auch Peter das Podest erreicht hat, stößt Richard die Tür auf. Aus den Angeln springt ein düsteres Ächzen, das die Stickluft in dem selten frequentierten Raum zusätzlich einzudicken scheint. Es ist, als enthielte die Luft den schon fast schwerelosen, seiner Farben beraubten Abrieb der dahingegangenen Ereignisse, die graue Asche Erinnerung, die mit den Jahren ausgekühlt ist.
    Da ihm nichts Besseres einfällt, sagt Richard:
    – Morgen werde ich aus Anlaß von Leopold Figls sechzigstem Geburtstag eine kleine Rede halten.
    Er versucht sich in seinen Schwiegersohn hineinzuversetzen, und es lindert seinen Widerwillen, daß Peter auf diese Situation wahrscheinlich noch weniger Wert legt als er selbst.
    – Der ist also auch schon sechzig, stellt Peter tiefsinnig fest.
    – Was heißt schon ? Für jemand Gesunden hat sechzig nicht viel zu sagen.
    – Kann sein.
    Peters Gesichtsausdruck ist ruhig, fast nichtssagend. Er schiebt sich zwischen den Kaminen und dem ausrangierten Krempel hindurch, als könnten ihn die Dinge, die hier durch leere Tage wachsen, mit Tentakeln anfassen, so kommt es Richard vor.

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