Es geht uns gut: Roman
schimmert.
– Das war’s für heute, sagt Richard.
Etwas vom verwirrenden Eindruck des Besuchs muß auch bei Alma haftengeblieben sein, denn sie beschließt, in der Dämmerung noch Nüsse einzusammeln.
Eine ganze Weile sieht Richard ihr von der Vortreppe aus zu. Leichter Laubgeruch zieht ihm in die Nase. Er blickt auf die Uhr. Zwanzig vor acht. Er schneuzt sich, schließt dabei die Augen und macht sie erst wieder auf, als sich über den Schotter Almas Schritte nähern. Gemächlich kommt sie heran, mit einem kleinen Eimer in der Hand. Richard nickt ihr zu. Wieso? Er weiß selbst nicht wieso. Rasch wendet er sich ab. Mit einem Gefühl tiefer Niedergeschlagenheit geht er auf sein Zimmer und sperrt sich ein.
Dienstag, 22. Mai 2001
– Du bist eine einzige Katastrophe, sagt Philipp, als Johanna sich wieder blicken läßt: Du bist so unglaublich katastrophal, es ist ein solcher Skandal, daß du es wagst, dich drei Wochen lang nicht anschauen zu lassen. Ich fasse es nicht. Wenn ich je wieder ein Interview geben muß und gefragt werde, was ich für den größten Skandal halte, werde ich nicht mehr nachdenken müssen und wie die Kugel aus dem Rohr eine Antwort wissen: Der größte Skandal bist du, Johanna Haug, ein so unglaublicher Skandal, daß du eigentlich unverzüglich Schluckauf bekommen müßtest. Aber du legst dich auf meine Matratze und ärgerst dich über die Bezüge, schläfst zwei Mal mit mir, stellst den Wecker, und wenn du wieder zu Hause bist, hast du bereits vergessen, daß du bei mir warst. Solche Skandale tropfen dir reihenweise von den Fingerspitzen. Gib zu, daß das sogar dir leid tut!
Johanna strampelt mit den Beinen, reibt den nackten Hintern am Leintuch, wirft die Decke mit den Beinen beiseite und sagt, ehe über Eingeständnisse ihrerseits verhandelt werden könne, müsse Philipp erst einmal zugeben, daß die Bettbezüge häßlich sind.
– Ausgerechnet violett, sagt sie: Das macht alles, was dem Bett auf zwei Meter nahe kommt, ebenso häßlich. Und ausgerechnet ich liege mittendrin.
Sie lacht und küßt ihn, und er lacht mit, obwohl ihm gar nicht nach Lachen ist, Johanna steckt ihn nur an. Er will nicht angesteckt werden, das weiß er, noch während er lacht, weder vom Flor der Bettbezüge noch von Johanna.
– Du häßliches Entlein von einer Meteorologin, sagt er, nachdem sie beide zu Ende gelacht haben: Für Filme geben sich Regisseure viel Mühe mit dem Wetter, das fällt jedem auf oder sollte wenigstens jedem auffallen. Neuerdings lassen sie sogar Frösche regnen, etwa vierzig Millionen, was bestimmt in die Filmgeschichte eingehen wird. Trotzdem kann ich nur lachen, wenn ich daran denke, denn das ist alles ein Witz gegen das, was ich erlebe.
– Ach.
(Vielleicht sollte ich einfach ein bißchen rausgehen oder radfahren oder laut singen oder ins Kissen boxen. Wie schön zu wissen, daß auch das wieder vorbeigehen wird.)
Philipp zieht sich notdürftig an. Ehe er mit Johanna aneinandergerät, was unmittelbar bevorsteht, verdrückt er sich lieber eine Zeitlang in den Garten. Dort dreht und wendet der Wind die Blätter, denen die Nacht ein körniges Grau zugewiesen hat. Eben war’s doch noch hell. Philipp stellt sich breitbeinig zu einem Pflaumenbaum, der rippig dürr und abgeblüht ist, holt seinen klebrigfeuchten Penis heraus und pinkelt gegen den Stamm, mit einem angenehmen Brennen in der Harnröhre, weil er gerade gevögelt hat. Die Sterne stehen ruhig. Das Haus hat in dem spärlichen Licht an Vertrauenswürdigkeit gewonnen, keine Spur mehr von der Schäbigkeit und dem Moder. Selbst die unangenehmen Erinnerungen, die hartnäckig hinter den Fenstern lauern, sind für den Augenblick verblaßt. Philipp schlenkert die letzten Tropfen ab, trabt tiefer in den baumdunklen Garten hinein, seltsam entschlossen, manchmal zaghaft, einen Moment später wieder trotzig, in alle Fallen stolpernd, die diese Nacht ihm gestellt hat.
Die Stimmen der Eltern hören und die der Großeltern, seltsam nah, aber ausgehöhlt und unsicher: Sperrstunde, mein Junge, Sperrstunde! Geh zurück! Noch drei Züge aus der Zigarette. Dann geh zurück! Der Bindfaden der Nacht ist zerkaut und franst am Ende aus. Leg dich zu ihr auf die Matratze, leg dich zu ihr und sag nichts.
In der Früh trödeln vorne an der Straße jede Menge Schüler vorbei. Der Strom reißt ab, gegen halb acht. Eine Pause. Dann kommen zwei, die rennen, weil sie zu spät dran sind. In Philipps Rücken kleidet sich Johanna zum Gehen an. Philipp
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