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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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trifft zu, daß die Kinder hier oben Rollschuh gelaufen sind, aber es war nur aufgrund der Brandschutzmaßnahmen zur Zeit der alliierten Bombenangriffe, als auf Dachböden lediglich Kübelspritzen und Sandeimer stehen durften. Richard könnte den Krieg ins Gespräch bringen, in dem Peter verwundet wurde. Doch just in diesem Moment geht ihm auf, daß er in Peters Augen ein Narr ist, daß Peter nicht im Traum daran denkt, den Mund aufzumachen, um seinem Schwiegervater einen Schritt entgegenzukommen. Die peinliche Lage zweier Menschen, die an einer Unterhaltung nicht interessiert sind, sich aber dazu gezwungen sehen, dieselbe aufrechtzuerhalten, damit die Lage nicht noch peinlicher wird, ist von absichtlich einseitiger Natur. Seinem Schwiegersohn ist nichts peinlich, diesem Windbeutel, der keinen Familienstolz kennt, diesem Weiberhelden und verwaschenen Sozialisten, der auf fremden Dachböden wildert und dort nur totes Inventar findet, weil seine eigene Vergangenheit, nazibedingt entrümpelt, nein, abgeschafft ist.
    Richard denkt, das beste wäre gewesen, Peter vor fünf Jahren ein dickes Kuvert zuzustecken mit der Aufforderung, sich nicht mehr blicken zu lassen und woanders sein Glück zu versuchen. Das wäre billiger gekommen als der Hauskauf.
    Wie schon am Vormittag im Café Dommayer, als er mit Dr. Gorbach das enttäuschende Vieraugengespräch hatte, spürt er Trostlosigkeit und Ohnmacht angesichts all dessen, wofür er kein Verständnis aufbringen kann. Eine unbestimmte, dumpfe Trauer befällt ihn, ihm ist, als würde er seinem Leben nachtrauern, noch während er es lebt.
    Und weil mittlerweile auch ihm das Reden vergangen ist, läßt Richard sich dazu herbei, an der Suche nach der Puppenküche teilzunehmen. Er schaut dort nach, wo Peter sich bislang nicht hingetraut hat, um gebührenden Abstand zu seinem Schwiegervater zu wahren. Erst jetzt fällt Richard auf, daß das Bett, neben dem er steht, aus der ehemaligen Kammer des Kindermädchens stammt. Das Bett ist ohne Matratze, ein bloßes Gerippe. Richard hebt eine auf dem Rost liegende, großformatige Mappe mit alten Stichen und Radierungen hoch. Einige Federn des Rostes sind gebrochen, allen anderen Federn ist nicht mehr zu trauen. Sonderbar, daß sie früher gehalten haben. Sonderbar, daß Richard mit Frieda in manchen Nächten glücklich gewesen sein will. Sonderbar, daß er einen Augenblick lang auf dem Bett ein rothaariges Mädchen von zwanzig Jahren knien sieht, in völliger Nacktheit, wohingegen die unqualifizierte Figur seines Schwiegersohnes, der schon bisher durch alles hindurchzublicken schien, auch durch diesen Bettrost hindurchblickt auf einen Koffer aus Pappkarton.
    – Das wird er hoffentlich sein, sagt Peter.
    Richard, abwesend, wie mit sich uneins, ob er sich ebenfalls freuen soll (er weiß noch, daß Frieda geweint hat, als sie ihre Kündigung erhielt, sie schrieb hundertmal Ich hasse dich auf die Tapete in ihrem Zimmer, was erst auffiel, als das Mädchen bereits auf der Bahn war), er sagt:
    – Ja, anzunehmen, das wird er sein.
    Sie räumen den Laderaum des Kleinbusses voll. Richard hat den Verdacht, Ingrid und Peter wollen den Besuch möglichst kurz halten, da ist Sissis Quengeln und Werfen von Gegenständen ein willkommener Vorwand. Daß Kinder um sieben ins Bett gehören, ist eine Erfindung des Biedermeier, und auf das Biedermeier, wie Richard festgestellt hat, legt Ingrid keinen Wert. Ein Stück von Almas Kuchen, geschlungen, ein Glas Bier, geschüttet. Ein Korb mit Danziger Kantäpfeln zum Mitnehmen. Benzingeld aus der generösen Hand des Vaters. Immer zu Diensten. Und dabei das deutliche Gefühl auf seiten Richards, daß ihm, gleichgültig, was er macht, die Gabe, von sich zu überzeugen, abhanden gekommen ist, daß er nicht mehr zu den Menschen gehört, bei denen sich das Blatt schlagartig zum Guten wendet. Der Bus schaukelt an, das Licht der Scheinwerfer streift über die gewaschenen Kiesel, die gleich darauf von den Wagenreifen herumgeworfen werden, die schmutzige Seite nach oben. Kurz eine erhobene Hand im Fensterspalt der Beifahrerseite, wieder zurückgezogen. Und auch der Bus ist gleich darauf weg, mit hängender, wippender Stoßstange, stotternd im schon dichter werdenden Dunkel, hinaus durch das Tor und weg, weg, wie das geht, darüber im hellblaugrauen Himmel der gelb leuchtende Halbmond, in stabiler Seitenlage, über dem Wienerwald, kann sein, daß der Mond dort oben die Ursache dafür ist, weshalb das Grün der Bäume noch

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