Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
Hochnäsig war keiner, der hier wohnte, aber auch richtige Proleten gab es nur wenige.
Natürlich konnte er sich keine eigene Wohnung leisten, sondern war nur Untermieter. Eine Zimmervermittlung am Schlesischen Bahnhof hatte ihn zu Pauline Mucke geschickt. Die hätte es als Witwe eines Verwaltungssekretärs an sich nicht nötig gehabt, eines ihrer beiden Zimmer zu vermieten, doch sie liebte es, einen jungen Herrn zu bemuttern, seit ihre eigenen Söhne ausgezogen waren. «Wenn de Untamieta hast», erklärte sie ihrem Kaffeekränzchen des Öfteren, «denn musste nich erst in’t Theata jehn, da erlebste ooch so jenuch.» Sie war extrem neugierig und schnüffelte gern in den Sachen ihrer Mieter herum. Natürlich nur, um sie an möglichen Torheiten zu hindern. Da sie stundenlang im Hausflur, in den Geschäften und am Straßenrand stand und tratschte, wusste sie über alles Bescheid, was in der Gegend um den Mariannenplatz von Bedeutung war.
«Hamse schon jehört?» Damit eröffnete Pauline Mucke jedes Gespräch. «Hamse schon jehört, Herr Kappe, det die Cholera ausgebrochen is?»
«Wo? Hier am Mariannenplatz?»
«Nee, in Ostpreußen oben.»
«Eher in Westpreußen», korrigierte sie Kappe. In Kalthof am linken Ufer der Nogat, Marienburg gegenüber, hatte es verdächtige Erkrankungen gegeben, aber die Seuchengefahr war inzwischen gebannt. «Darf ich bitte in mein Zimmer. ..» Da ihr Gesprächsbedarf bei weitem noch nicht gedeckt war, verstellte sie ihm den Weg.
«Und das Wetter erst! Im Harz und im Thüringer Wald ham se mächtiget Hochwasser.»
«Na, ehe hier die Waldemarstraße unter Wasser steht, werden noch ein paar Tage vergehen. Außerdem wohnen wir im dritten Stock.» Kappe hatte es endlich geschafft, bis zu seiner Zimmertür vorzudringen. Er drückte sie auf und nickte der Vermieterin noch einmal zu. «Ich darf mich dann empfehlen. ..»
«Jehn Se ma nich zu früh zu Bett, der Herr Trampe sagt, det et in Moabit bald krachen tut - und dann müssen sicha alle Schutzmänna hin.»
Friedrich Schwina litt seit einiger Zeit an einer geheimnisvollen Kehlkopferkrankung und konnte nur noch ganz leise sprechen. So war es kein Wunder, dass ihn in seinen Kreisen wie bei der Polizei alle unter dem Namen Flüster-Fritze kannten. Eigentlich kam er aus dem Wedding, da er aber die meiste Zeit seines Lebens im Moabiter Zellengefängnis verbracht hatte, fühlte er sich eigentlich als Moabiter. Spezialisiert war er auf Diebstähle und Einbrüche, hatte aber auch schon einige Vorstrafen wegen gefährlicher Körperverletzung aufzuweisen, denn je mehr er getrunken hatte, desto rabiater wurde er. Auch schlug er blindlings zu, wenn er bei einem Einbruch überrascht wurde. Er wohnte in einer Laube zwischen Sickingenstraße und Bahndamm und galt als Sonderling, dem man lieber aus dem Weg ging. Wer an seinem windschiefen Zaun vorbeikam, wurde von einem Schäferhund fürchterlich verbellt. Er hatte dem Tier den Namen Mistvieh gegeben, doch es war das einzige Wesen, das er liebte.
«Mach’s gut, Mistvieh.» Er kraulte und tätschelte das Tier noch einmal, ehe er seine Behausung verließ und sich auf den Weg zur Chausseestraße machte. «Und wünsch mir viel Glück.» Der Hund bellte wie verrückt, und Schwina nahm es als gutes Omen. Er hatte sich da einen Trick ausgedacht, der viel Geld versprach. Leider brauchte er einen Komplizen dazu, denn wegen seiner auffälligen Stimme konnte er bestimmte Sachen nicht mehr selber machen, die Kriminalbeamten hätten ihn sonst gleich erkannt. Das Dumme an einem Komplizen war, dass man mit ihm teilen musste. Andererseits war Alfons für ihn auch mehr als nur ein Komplize. Wie auch immer, Alfons hatte gestern nach einem Kohlen- oder Gemüsehändler suchen müssen, von dem auch kleine Fuhren angenommen wurden, und war in der Lüneburger Straße fündig geworden. «Kommen Sie bitte zum Haus Chausseestraße 98, dort wartet Herr Baurat von Ferbitz auf Sie. Es sind ein paar wertvolle Möbelstücke zu seiner Schwiegermutter zu bringen.»
Aber wer dort wartete, war Friedrich Schwina, hinter einer Litfaßsäule in Deckung gegangen. Pünktlich war der Fuhrwerksbesitzer zur Stelle. Zuerst harrte er der Dinge, die da kommen würden, und hielt oben von seinem Bock Ausschau nach dem Baurat. Die Minuten vergingen. Als ihm die Zeit zu lang geworden war, sprang er auf die Straße hinunter, um sich auf die Suche nach dem Baurat zu begeben. Wahrscheinlich musste der erst herausgeklingelt werden.
Schwina wartete,
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