Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
gewaltigen Aufgebot von Schutzmannschaften und einer tausendköpfigen Menge bringen würde.
Eine junge Frau kam auf ihn zu, und irgendwie war er sich sicher, sie schon einmal gesehen zu haben. In Storkow, in der Waldemarstraße? Als ihm auffiel, dass sie Trauer trug, fiel es ihm wieder ein: Das war Sophie Schünow, Tilkowskis Braut. Sie begrüßten sich kurz.
«Na, wieder aus dem Krankenhaus raus?», fragte er, und erst als er es ausgesprochen hatte, fiel ihm auf, wie dämlich diese Frage war.
«Ja», hauchte sie. «Ich will zu einer Freundin fahren.»
Sie war, mochte sie noch so blass sein und schwermütig wirken, wunderschön, und Kappe hätte am liebsten Dienst Dienst sein lassen und wäre ihr gefolgt. Wenigstens wollte er so lange mit ihr plaudern wie möglich. «Wir haben leider noch nichts weiter. Also, ich meine, was Ihren Paul betrifft.»
«Lassen wir das, ich. ..» Sie nickte ihm noch einmal kurz zu, dann verschwand sie im Bahnhofsgebäude.
Kappe fragte sich, ob der Himmel diese Begegnung herbeigeführt hatte, um ihm zu zeigen, dass es noch andere schöne Mädchen gab und er nicht alles auf die Karte Klara Göritz setzen sollte. Jetzt galt es aber, sich auf den Einsatz am heutigen Abend zu konzentrieren.
«Es liegt was in der Luft», sagte er, als Galgenberg aus dem Zug geklettert war.
Der Kollege nahm es gelassen. «Keen menschlicher Verstand ermisst, wat mancher für een Dussel ist. Denken die, sie können die Welt aus ’n Angeln heben, wenn se uns Blumentöppe uff ’n Kopp schmeißen?» Dann erzählte er, was er über Flüster-Fritze und Priebisch oder Priebusch herausgefunden hatte. «Der Flüster-Fritze alias Friedrich Schwina, der hat ’ne lange Latte an Vorstrafen und is jemeldet in ’ner Laubenkolonie an der Sickingenstraße. Und der Priebusch heißt Priebisch, Albert Priebisch, ist Zimmermann und wohnt in Rixdorf. Priebischs gibt es ’ne Menge, aber nur einer ist als Anarchist bekannt, dieser Albert. Ich war schon bei ihm zu Hause, aber er war leider nicht zugegen. Die Nachbarn sagen, dass er sich in Moabit herumtreibt. Klar, um die Leute aufzuhetzen.»
«Dann lassen Sie uns erst mal zu diesem Schwina gehen», schlug Kappe vor.
«Gut, wo ’ne Destille is, is ooch ’n Weg. Bilden Sie mal ’n Satz mit Amtsrichter!»
«Keine Ahnung.»
«Abends riecht er immer nach Schnaps.»
Vom Bahnhof Beusselstraße bis zum Laubengelände am Ende der Sickingenstraße am Charlottenburger Verbindungskanal war es nicht weit, aber da rings um den Kohlenplatz von Kupfer & Co. schon wieder alles dicht war, mussten sie den Umweg über die Wittstocker Straße machen.
Galgenberg erzählte, was noch so an Arbeit angefallen war.
«Im Kintopp Thurmstraße 70 haben wir den Friseur Paul Höhne festgenommen, 22 Jahre alt, hat bei seinem Bruder in der Beusselstraße gewohnt und sich wiederholt an seiner neunjährigen Nichte vergangen. Menschen jibt dit! In Groß-Lichterfelde in der Hauptkadettenanstalt ist ein Kadett, achtzehn Jahre alt und kurz vor der Fähnrichsprüfung, vom Dach gefallen und mit zerschmetterten Gliedern unten liegengeblieben. Da mussten wir sehen, ob das ’n Unfall war oder ihn jemand runtergestoßen hatte.»
«Und?»
«War wohl ’n Unfall, er wollte seinen Kameraden zeigen, was er für ’n großartiger Kletterkünstler is. Und in der Firma Ariadne in der Wilmersdorfer Straße, da war es auch nur ’n Unfall, da ist ein Arbeiter in den Transmissionsriemen geraten.»
Damit waren sie auf dem Laubengelände angekommen und schafften es, sich bis zur Behausung von Friedrich Schwina durchzufragen. Doch der Gesuchte war nicht zu Hause.
«Wenn de denkst, du hast’n, springta aus’n Kasten», sagte Galgenberg. «Ein Satz mit Waschblusen?» Und da Kappe wieder keine Antwort wissen würde, fuhr er gleich fort: «Wasch blusen die Trompeter, Husaren heraus. ..»
Kappe verdrehte die Augen. «Sehr schön. Also suchen wir jetzt den Albert Priebisch!»
Galgenberg nickte. «Mit Jeduld und Spucke / fängt man eene Mucke. / Mit Jeduld und Spei / fängt man ihrer zwei. Also, auf ins Jetümmel!»
«Ein Satz mit Telefon?», fragte Kappe, nachdem er lange darüber nachgedacht hatte, wie er sich an Galgenberg rächen konnte.
«Wat sachste da?» Der Kollege bekam vor lauter Staunen den Mund nicht mehr zu. «Weeß ick nich.»
«Na, ganz einfach: Wenn Nachbars Köter Junge kricht, krieje ick ooch ’ne Töle von.»
«Tooor!», rief Galgenberg. «Toor! Eins zu eins.»
Sie mischten sich unter die Leute.
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